Mittwoch, 22 Juli 2015 15:51

Eine griechische Tragödie, der Chor der internationalen Medien und deutsche Empfindlichkeiten Empfehlung

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Wir haben die griechische Tragödie[1], in Brüssel aufgeführt, sehr intensiv und extensiv durch die Medien miterlebt, auch den Zorn einiger Staaten, besonders Griechenlands, auf Deutschland. Bei dem europäischen Versuch, Griechenland vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu retten, scheint es so auszusehen wie im Privaten: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Fest steht: Wie so häufig müssen auch in Hellas in erster Linie die kleinen Leute leiden, während die Wohlhabenden rechtzeitig ihr Geld in Sicherheit bringen konnten. Wie also können in den nächsten Wochen und Monaten der Kollaps und die politischen und sozialen Folgen verhindert werden? 

Die Höhe der angelaufenen griechischen Schulden ist einfach zu hoch, als sie von diesem Land allein geschultert werden könnten. Viele Fehler sind von allen Seiten in den letzten Jahren gemacht worden, von den Gläubigern und dem Schuldner Griechenland. Angesichts des aufgezwungenen Sparkurses erheben sich berechtigte Fragen: Wie soll die griechische Wirtschaft jemals wieder wachsen können, wenn der Kapitalverkehr stark eingeschränkt ist, die griechischen Banken nicht voll funktionieren können, der Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen dort nicht möglich ist. Durch Anhebung der Mehrwertsteuer verteuern sich in der Regel die Preise. Gleichzeitig muss der Staat sparen (insbesondere durch Entlassungen, Reduktion der Renten, Kürzungen der Verteidigungsausgaben). Wie will man die weitere Drosselung der Binnennachfrage vermeiden – neben dem Rückgang beispielsweise der so wichtigen Einnahmen durch den Tourismus? Wie will man die Steuerehrlichkeit der Griechen fördern, wenn man dort – ohne effiziente Finanzverwaltung – die großen potentiellen Steuerzahler verschont? Will man wirklich die junge, intelligente Generation Griechenlands, die in Folge jahrelanger politischer Versäumnisse in die Arbeitslosigkeit getrieben wurde, in die nördlichen Euroländer vertreiben, wo sie gern aufgenommen würden? Fragen über Fragen, die immer wieder zu der Forderung nach einem Schuldenschnitt führen. Auch wenn sich bisher die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat: Ohne einen Schuldenschnitt (Englisch: „haircut“), d.h. ohne den Verzicht der öffentlichen und privaten Gläubiger gegenüber Griechenland, bei gleichzeitiger, kontrollierter Durchsetzung von Reformen in Griechenland ist die (Er)Lösung von der griechischen Tragödie nicht möglich. Als stärkste Wirtschaftsmacht in der Eurozone ist hier Deutschland, das bisher den europäischen Gedanken besonders unterstützt hat, auch besonders gefordert.

Schade und unfair war es, dass nicht alle Fakten in den vergangenen Wochen genannt wurden. Insbesondere die deutsche Seite hat Einiges schlecht kommuniziert, z.B. dass Wolfgang Schäuble, ein Schwabe und deutscher Finanzminister,  häufig als böser Bube  (oder noch schlimmer) betitelt, erst vor wenigen Jahren mit Mühe die sogenannte Schuldenbremse durchgesetzt hat. Sie bedeutet, dass es in Deutschland dem Bund und den einzelnen Ländern gesetzlich verboten ist, in „normalen Zeiten“ Schulden zu machen. In Deutschland hat es Schäuble auch erreicht, dass 2015 erstmals keine neuen Schulden im Staatshaushalt des Bundes („Schwarze Null“) gemacht wurden. Er mag sich vielleicht sogar noch vage an seinen Vorgänger, den Bundesfinanzminister Fritz Schäffer erinnern, der in den 1950er Jahren einen “Julius-Turm“[2], die thesaurierten Überschüsse des Bundeshaushaltes“ (8 Milliarden D-Mark = ca. 35  Milliarden Euro heute), zusammensparte.- Ein noch Wichtigeres kommt hinzu: Die fortdauernde Sorge im Langzeitgedächtnis der Deutschen, dass es wieder eine Inflation – wie in den 1920er Jahren - geben könnte. Die Regierung Helmut Kohl hatte sich aus politischen Gründen (um die europäische Einigung voranzutreiben)  von der D-Mark getrennt und die gemeinsame europäische Währung, den Euro, zusammen mit anderen Ländern im Jahre 2002 eingeführt. Bis heute trauern viele Deutsche der damaligen, stabilen D-Mark nach. Das sind wichtige (Hinter)Gründe, warum Schäuble und Merkel so hart mit den Griechen verhandelten. Viele Regierungen, auch die konservative britische,  sind gegenwärtig mit der Konsolidierung ihrer Haushalte beschäftigt. Die hohe Kunst besteht darin, die Schulden abzubauen und die Wirtschaft zu fördern, ohne dabei politische und soziale Verwerfungen zu produzieren.

Fast völlig ausgeblendet wurde in der bisherigen deutschen Diskussion, dass Westdeutschland nach 1945 umfangreiche Hilfe insbesondere von den USA erhielt und wie die alte, reiche Bundesrepublik der maroden Wirtschaft der neuen, aber armen Bundesländer ab 1990 ganz massive finanzielle und personelle Hilfe gewährte. Erst auf diese Weise konnten in den vergangenen 25 Jahren zwar keine „blühenden Landschaften“, aber eine weitgehende Gesundung der ostdeutschen Wirtschaft mit moderner materieller und institutioneller Infrastruktur erreicht werden. Insofern sollten bei den künftigen Verhandlungen mit der griechischen Regierung auch die deutschen Erfahrungen mit einer Transfer-Union im europäischen Rahmen eingebracht werden. Es geht auch, aber eben nicht nur um den Euro.

Angesichts so vieler Probleme, die in Europa zu lösen sind – Süd-Nord-Migration, eigene demographische Entwicklung, Umweltprobleme, Ukraine-Konflikt - , muss sich Europa auf den alten Erfahrungssatz besinnen: Nur Einigkeit macht stark. Es geht um das gemeinsame, auch von Griechenland mit erbaute europäische Haus.

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