Ekkehard Henschke
Auf Albert (Einsteins) Spuren
Selten haben mich Aufsätze einer wissenschaftlichen Zeitschrift so beeindruckt wie die neueste Ausgabe von „Albert. Das Journal der Einstein Stiftung Berlin Nr. 8 – Immunforschung“ (2024): Liste – Einstein Stiftung Berlin (einsteinfoundation.de)
Zum einen haben sie mich an den Ausspruch des Zoologen und Naturphilosophen Bernhard Rensch (1900-1990) erinnert, den ich mir während meines (einzigen) Semesters Medizin in Münster im Sommer 1959 einprägte: “Die menschliche Keimbahn ist potenziell unsterblich!“ Die große Bedeutung der Zellforschung wurde auch mir erst allmählich bewusst. Seitdem sind mehrere Generationen von Biowissenschaftlern aktiv gewesen. Sie haben - auch dank der rasanten Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie - weitreichende Resultate in der Immunforschung möglich gemacht. In dem gut verständlichen „Albert“-Heft heißt es im Editorial: „Vielen Menschen scheint erst durch die Pandemie bewusst geworden zu sein, wie komplex das Immunsystem, der Körper und unsere Gesundheit sind – und wie anfällig zugleich.“
Die traurige Seite des wissenschaftlichen Fortschritts ist in der Tatsache zu finden, dass diese Generationen auf dem Gebiet der Friedensstiftung, wie dies der Physiker und Pazifist Albert Einstein (1879-1955, 1921 Nobelpreis) versuchte, nicht gleichermaßen erfolgreich waren. Ein schreckliches Beispiel für das Versagen von Politik und Wissenschaft ist der gegenwärtige Krieg im Nahen Osten. Der Oxforder Medizin-Professor Nick Maynard sah jüngst das menschliche Elend in Gaza und half als Arzt. Sein Bericht vom 26. Juli 2024 in der Oxford Mail (leider mit viel Werbung des Verlags) ist eine eindringliche Mahnung an die Welt zum Handeln: https://www.oxfordmail.co.uk/news/24476949.oxford-surgeon-describes-horrific-injuries-gaza/
Von dem weitsichtigen, aber vertriebenen Albert Einstein stammen viele gute Aussprüche. Dieser gefällt mir gegenwärtig am besten: „Unser Ziel muss es sein, uns aus dem Gefängnis zu befreien, indem wir den Horizont unseres Mitgefühls erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in all ihrer Schönheit umfasst.“ (https://beruhmte-zitate.de/autoren/albert-einstein/?page=2)
Systemkonkurrenz und Klimakrise als globale Probleme
Ähnlich wie andere Konfliktherde hat sich der Krieg Russlands gegen die Ukraine seit 2014 zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den westlich-demokratisch organisierten Staaten einerseits und den östlich-autokratisch organisierten Ländern andererseits entwickelt. Beide Seiten sind gegenwärtig dabei, durch Bündnissysteme ihre Machtpositionen in der Weltpolitik zu festigen. Ein Wettstreit der Systeme mit mehreren Machtpolen ist bereits im Gange.
Demographisch bedeutsam: Das demokratisch organisierte Indien hat nach Angaben der Vereinten Nationen (undesa_pd_2023_india-population_press-release.pdf) Ende April 2023 mit 1.425.775.850 Einwohnern bevölkerungsmäßig das (formal-)kommunistische, wirtschaftsstarke China überrundet. In Indien regiert der nationalistische Hindu Narendra Modi und versucht, eine neutrale politische Position zwischen den beiden Blöcken einzunehmen. Die führenden Politiker in Beijing, mit dem Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping, und Moskau, mit dem Präsidenten und ehemaligen Geheimdienstchef Wladimir Putin an der Spitze, gründen ihre Legitimität auf alte, historische und kulturelle Traditionen, die sie für ihre aggressiven Aktivitäten nach außen und innen in Anspruch nehmen. Zugleich bemühen sie sich, die demokratischen Staaten mit ihren systembedingt labilen Regierungen zu destabilisieren und deren freiheitliche Kulturen als „dekadent“ erscheinen zu lassen. Wir erleben gegenwärtig, dass die autokratisch regierten Großmächte versuchen, ideologisch, politisch, kulturell und militärisch ihre Überlegenheit nachzuweisen. Auch der Wirtschaftskrieg zwischen den Großmächten China und USA gehört dazu.
Europa ist gegenwärtig stark zersplittert. Der Brexit hat die Europäische Union politisch und militärisch geschwächt und Großbritannien wirtschaftlich zunehmend ins Hintertreffen gestellt. Als Staatenbund mit ehemaligen Kolonialmächten, die noch im 19. Jahrhundert dem Feudalreich China ihren Willen aufzwingen konnten, hat die EU bisher nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gefunden. Innenpolitisch haben rechts-populistische Bewegungen in einigen Ländern wie Ungarn und Italien zu Regierungen geführt, die zumindest russlandfreundlich auftreten. Die EU ist zwar wirtschaftlich weiterhin stark in der Weltwirtschaft aktiv. Politisch und militärisch vermag sie aber nur gemeinsam mit den USA eine Rolle zu spielen. Die dort anstehende Präsidentenwahl wird zeigen, wohin die Reise geht. Während Großbritannien nach dem jüngsten Sieg der Labour Party wieder zu einer seriösen Innenpolitik zurückzukehren scheint, ist die Situation in Frankreich noch undurchsichtig.
Die Vereinten Nationen haben angesichts der neuen Blockbildung ihre Bedeutung als friedensstiftende Institution verloren. Die militärischen Konflikte um die Ukraine und Gaza zeigen das in gefährlicher Weise. „Stattdessen“ arbeiten wenigstens internationale Gerichtshöfe und die Verbünde großer internationaler westlicher Medien – darunter New York Times, Guardian, Spiegel, Süddeutsche Zeitung – an der Aufklärung von weltweiten Menschenrechtsverletzungen.
Das andere Riesenproblem: Die internationalen Klimakonferenzen zeigen immer stärker die Zwänge zum Handeln auf, können aber keinen Staat dazu zwingen. Dem Fetisch von der Steigerung des Wirtschaftswachstums wird immer noch Priorität vor der Nachhaltigkeit beim Umgang mit den natürlichen Ressourcen eingeräumt. Das allen Ländern gemeinsame Problem ist die täglich spürbare Verschlechterung des Klimas. Die Weltgemeinschaft, gefährlich zerstritten durch Wirtschaftskrieg und militärische Konflikte, hat bisher nicht zu den notwendigen gemeinsamen Anstrengungen gefunden, die Natur und die Einwohner dieses Planeten dauerhaft zu schützen. Die Menschen haben zwar die intellektuellen, besonders die technischen und wirtschaftlichen Potenziale zur Lösung dieses Problems, offensichtlich aber nicht (mehr) die mentalen Fähigkeiten dazu.
Angesichts eines grassierenden Pessimismus‘ fällt es schwer, den vorsichtigen Optimismus des britischen Wirtschaftspublizisten Hamish McRae (Writing – Hamish McRae) zu akzeptieren, dass die Welt im Jahre 2050 noch lebenswert sein wird. Ein „Warten auf Godot“ ist jedoch gefährlich. Seit den 1970er Jahren wurden Analysen geliefert, Empfehlungen gegeben und auf mögliche Folgen (u.a. Wanderungsbewegungen) hingewiesen: Erinnert sei an die Tätigkeiten der Nord-Süd-Kommission unter Willy Brandt und des Club of Rome (Die Grenzen des Wachstums – Wikipedia). Aus Verantwortung für die jetzt und künftig Geborenen ist es ethisch dringend geboten, dass wir jetzt Lebenden uns immer wieder – wie einst Sisyphus in der altgriechischen Mythologie – um die Lösung dieser Riesenprobleme bemühen: Rettung der Umwelt und des Friedens, Überwindung der gewachsenen Kluft zwischen Arm und Reich. Die Frage bleibt: Stellt diese Kluft, verursacht durch menschliche Gier, nicht eigentlich das Grundproblem dar, das durch Solidarität gelöst werden kann?
Weihnachten und Krieg?
Die beschauliche Weihnachtsdarstellung in der Hofkirche des Normannenplastes ist Teil eines großartigen Mosaikbildes der Bibel, in der die Welt der Antike erscheint. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Der Betrachter der heutigen Welt schaut über die Medien zu, wie sich im Nahen Osten und in Osteuropa Menschen gegenseitig systematisch umbringen. Und die Großmächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gegründet wurden, gebieten diesem Morden nicht Einhalt. Die Frauen und Kinder, die besonders darunter leiden, haben diese Gewaltausbrüche sicherlich nicht gewollt! Dabei gilt in allen Religionen, die in den Kriegsgebieten befolgt werden, das Tötungsverbot. Was tun die Kirchen des Christentums, des Islams und des Judentums?
Nach dem jüngsten Bericht des Londoner GUARDIAN (https://www.theguardian.com/world/live/2023/dec/21/israel-gaza-war-live-updates-hamas-leader-ismail-haniyeh-hostage-talks-egypt-palestine?CMP=Share_iOSApp_Other) sind seit dem Massaker der Hamas vom 07. Oktober fast 20.000 Menschen im Gaza-Streifen umgekommen, die dem israelischen Vergeltungsschlag zum Opfer fielen: Zwei Millionen Palästinenser wurden dabei in ihrem eigenen Land vertrieben. Krankenhäuser, Schulen und auch Kirchen bieten keinen Schutz mehr, auch nicht für Frauen und Kinder. Jüdische Menschen werden als Geiseln, palästinensische als Schutzschilde der Terroristen „benutzt“. Die in Oxford lebende Layla Moran, Abgeordnete des britischen Unterhauses mit christlich-palästinensischen Wurzeln, berichtete über die dramatische Situation ihrer eigenen Familie, die sich in eine katholische Kirche in Gaza City geflüchtet hatte.
Währenddessen befestigen die Ukrainer ihre Stellungen gegenüber den Russen und versuchen, ihre Infrastruktureinrichtungen, besonders die Stromversorgung, im drohenden eisigen Winter zu sichern. Aber auch dort geht das Sterben weiter.
Benefizkonzerte wie das der Berliner Philharmoniker trösten und zeigen zugleich die Gemeinsamkeiten von unterschiedlichen Völkern auf, die die Brücke zum Frieden darstellen können ("Gemeinsam für Menschlichkeit": Konzert der Berliner Philharmoniker für Israel | NDR.de - Kultur - Musik). Gebete in den Kirchen und Moscheen wollen ebenfalls Trost und Mut spenden.
Die dringlich zu beanwortende Frage bleibt: Wer stoppt endlich das sinnlose Töten, damit alle ein friedliches und gemeinsames Weihnachtsfest 2023 feiern können?
Krieg und Frieden War and Peace
Der Terrorkrieg der palästinensischen Hamas-Organisation gegen israelische Kibbuz-Bewohner ist ein großes Verbrechen. Nicht nur die dortige Bevölkerung sondern auch Jüdinnen und Juden in vielen anderen Ländern fühlen sich bedroht. Die militärische Reaktion des Staates Israel hat zu Recht die Terroristen getroffen, aber zugleich die palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen überhart in Mitleidenschaft gezogen. Das hat berechtigte Kritik hervorgerufen. Aber: Was nicht berechtigt ist, Juden einerseits und Muslime andererseits generell dafür verantwortlich zu machen. Die in den letzten Wochen in Deutschland und in anderen Ländern manifest gewordenen Vorurteile sind eine Schande für jeden aufgeklärten Menschen. Sie fördern zugleich die Ausbreitung von weiterem Hass und Krieg auf diesem ohnehin bedrohten Planeten.
Kehren wir zu allererst vor unserer eigenen Haustür: Der deutsche Minister und Vizekanzler Robert Habeck hat jüngst in einer beeindruckenden Rede dazu Stellung bezogen: Vizekanzler bezieht klar Stellung: Viel beachtete Israel-Rede: Habecks Video in voller Länge | ntv - YouTube
Er hat den hier (wieder-)aufgeflammten Antisemitismus scharf kritisiert. Der deutsche Staat und die Gesellschaft haben – neunzig Jahre nach dem Beginn der Judenverfolgung durch den damaligen Staat – die Pflicht, ihre jüdischen Mitbürger zu schützen und zu achten. Das ist „Staatsräson“, aber auch „unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ der heute lebenden Generationen, nachdem die vorherigen versagt hatten. Die Historiker, auch die deutschen, haben dieses Versagen und die Folgen schwarz auf weiß analysiert und für einen Jeden lesbar dokumentiert. Den Urgrund – warum Menschen anderen Menschen Böses antun – werden sie wohl dauerhaft erforschen müssen. Die Beantwortung der Frage nach Krieg und Frieden bleibt als Aufgabe den Menschen seit den mythologischen Erzählungen erhalten, vgl. insbesondere die Bibel und den Koran mit dem Problem „Kain und Abel“.
Griechische Impressionen
Ein Urlaub in Griechenland führt stets zu den Wurzeln der europäischen Kultur. Dies wurde mir besonders in diesem Sommer bewusst, als die Orte Athen, Nafplio und Sparta/Mystras auf dem Programm standen. Schönes Wetter, blaues Meer und die reifen Früchte eines Mittelmeerlandes, das von kargen Gebirgen, aber auch von grünen Tälern gekennzeichnet ist. Das sind Empfehlungen für jeden Touristen. Wer näher hinschaut, kann Zeugnisse eines kulturgeschichtlichen Zeitbogens von rund viertausend Jahren erleben. Dieser reicht von der Bronzezeit (mit Hinterlassenschaften der minoischen Kulturen auf Kreta und jenen aus Mykene) über die sogenannte klassische Zeit (gekennzeichnet durch die Kontrahenten Athen und Sparta in der Auseinandersetzung mit den Persern) zu der langfristigen Begegnung mit Rom.
Epidaurus Theater
Der Bogen enthält in der nachchristlichen Zeit die Auseinandersetzungen mit dem Byzantinischen, danach mit dem Osmanischen Reich, um schließlich nach dem Befreiungskampf im 19. Jahrhundert und den Wirren des extremen 20. Jahrhunderts in der Gegenwart anzukommen. Nicht nur die epischen Erzählungen von Homer, sondern die der antiken Historiker Herodot und Tukydides und ein Meer von modernen wissenschaftlichen Arbeiten (vgl. u.a. die Bände 286 und 706 der Serie „A Very Short Introduction“ bei Oxford University Press) sowie insbesondere das Nationale Archäologische Museum von Athen berichten von dieser großen griechischen Vergangenheit.
Sommerloch 2023 und das Prinzip Hoffnung
Es war in diesem Jahr ein irrer Sommer – bis jetzt: Das mediale Loch wurde vollgestopft mit Meldungen über Krieg in Osteuropa, Umstürze in Afrika und verbrennende Wälder in Europa und Amerika. Erschreckend eigentlich, was sich die Menschen dieses Planeten nach einer gerade zu Ende gehenden Pandemie alles „leisten“!
Und dann gibt es in diesem kleinen Biotop Deutschland noch den zusätzlichen „Luxus“: den permanenten Streit innerhalb der regierenden (!) Ampel-Koalition, obwohl doch „alle Welt“ in Deutschland klagt, dass man den Rechten, also der AfD, endlich etwas Substantielles entgegensetzen sollte. Zum Beispiel bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels (nach verpatzter Heizungsdebatte), auch durch die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen (nach jahrzehntelanger Verschleppung der Digitalisierung) und durch die Beseitigung von Ungleichheiten in Gesellschaft (mit Kinderarmut und Bildungsrückständen) und Wirtschaft (mit auch steuerlichen Standortnachteilen). Schließlich gilt es, die Wirtschaft als Wohlstandsmotor für Deutschland und Europa fit zu machen und die Menschen dafür zu motivieren.
Die Weltlage für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sieht ernst, aber nicht hoffnungslos aus. Das ist – nach gründlichen Analysen und Handlungsansätzen im Interesse der kommenden Generationen - die Botschaft des schottischen Wirtschaftspublizisten Hamish McRae in The WORLD IN 2050. HOW TO THINK ABOUT THE FUTURE (London u.a. 2023), die verhalten optimistisch endet.
Da möchte man doch den Politikern mit Karl Valentin warnend zurufen: "Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut." Wirklich nicht?
Ein historischer Tag im Kalten Krieg: der 17. Juni 1953
"Da kommen die Hennigsdorfer!" Ab 6 Uhr morgens marschierten am 17. Juni 1953 15.000 Hennigsdorfer Stahlarbeiter durch Wedding nach Ostberlin (Artikel im TAGESSPIEGEL vom 16.06.2003). Rechts im Bild West-Berliner Polizei.
Acht Jahre nach Kriegsende erhoben sich streikende Arbeiter in der DDR gegen die sozialistische Obrigkeit und forderten die Rücknahme der Erhöhung der Arbeitsnormen. Diese und weitergehende politische Forderungen, darunter jene nach freien Wahlen, wie sie am 17. Juni 1953 in zahlreichen ostdeutschen Orten vorgetragen wurden, erschütterten das Regime. Der Westberliner Radiosender RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) strahlte diese überregional aus, was wiederum als Provokation gewertet wurde. Nur durch die sowjetischen Truppen mit ihren Panzern und durch die kasernierte Volkspolizei konnte der Volksaufstand schnell unterdrückt werden; vgl. Wikipedia mit weiteren Angaben und Fotos (https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_vom_17._Juni_1953).
Im Alter von 13 Jahren wurde ich in dem alten Arbeiterbezirk Wedding teilweise Augenzeuge der Ereignisse im geteilten Berlin: Am Vormittag rief mein Stiefvater [Dr. med. Adalbert Schwede, der nahe der Sektorengrenze im französischen Sektor seine Praxis hatte] von der Praxis aus in der Wohnung an und berichtete von Arbeiter-Demonstrationen im Ostsektor. Ich machte mich sofort zu Fuß auf den Weg und erlebte als erstes den langen Marsch der Hennigsdorfer Stahlarbeiter [nördlich von Berlin] durch die Müllerstraße, wo sie auf der Höhe der Müller-Halle von Bäckern und Fleischern mit Brötchen und Wurst versorgt wurden. Ein starkes Zeichen der Solidarität. Der Kampf um die Zurücknahme der Arbeitsnormen, die die Regierung der DDR beschlossen hatte, breitete sich als Aufstand im ganzen Land aus und konnte nur mit Hilfe der sowjetischen „Freunde“ unterdrückt werden.- Ich erlebte an der Sektorengrenze in der Chausseestraße die Motorradfahrer, die in ihren Beiwagen Verletzte vom Brennpunkt Potsdamer Platz in den Westsektor brachten. Und schließlich brummten die ersten sowjetischen Panzer heran und blieben auf der Grenzlinie stehen. Alle hielten den Atem an: Würde ein neuer Krieg ausbrechen? Glücklicherweise passierte dies nicht. Aber Tage später wurden einige der Opfer des Arbeiteraufstandes in Berlin in einem Staatsbegräbnis auf dem Weddinger Friedhof beigesetzt.
Als der Kalte Krieg und die „Freundschaft“ der Sowjetunion zu Ende gingen, konnte sich das Volk der DDR 1989 schließlich durchsetzen. Die Hennigsdorfer und viele andere im wiedervereinigten Deutschland werden sich am 17. Juni 2023 daran erinnern: https://landesregierung-brandenburg.de/gedenken-17-juni-1953/
In English:
Eight years after World War II had ended, the workers of the German Democratic Republic called a strike and stood up against their socialist government. On 17 June 1953 many East German citizens demanded the cancellation of increased work norms and even free elections, demands which horrified the regime. The West Berlin radio station RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) broadcast their demands very widely, which the East German authorities characterised as “provocation”. Soviet troops with tanks and the East German riot police quickly subdued the riots.
At the age of 13 I was able to observe what was going on in Wedding, the workers’ district in West Berlin: In the morning of 17. June my stepfather Dr Adalbert Schwede phoned from his surgery in the French sector on the border with Soviet-controlled East Berlin and informed us about the workers’ demonstrations in the Eastern parts of Berlin. I set off at once and watched the long march of the Hennigsdorf steel workers, coming from the north of Berlin, down through the big wide Müllerstrasse. They passed a covered market, where the bakers and butchers provided them with rolls and sausages. A great sign of solidarity. The steel workers’ uprising, demanding that the government stop raising the work norms, spread all over the country. It was finally suppressed by the so-called Soviet “friends”.- Standing next to the border on Chausseestrasse I saw the motor cyclists who had arrived from the centre of East Berlin, where Potsdamer Platz was on fire, carrying wounded people to West Berlin in their sidecars. In the end Soviet tanks appeared and stopped at the border of the Soviet sector. Everybody was frightened: Would there be another war? Fortunately, this did not happen. However, a couple of days later I attended the funeral of some victims of the workers’ riots in Berlin Wedding.
When the cold war and the socalled "friendship" with the Soviet Union ended the people of the GDR finally succeeded in 1989. The people of Hennigsdorf and many other oplaces of reunitede Germany will remember on 17 June 2023.
Was hat Weißkirch mit Karl III. zu tun? Der britische König in Rumänien
Beim Frühstück am Sonntagmorgen fiel mir das Etikett eines Honigglases auf: „Duchy Organic. Pure Honey. … Produce of Romania. Packed in the UK Waitrose Limited. … THE PRINCE OF WALES’S CHARITABLE FUND”. Die Recherche im Internet ergab Näheres über die Aktivitäten des britischen Königs Charles III, bis vor kurzem noch Prince of Wales, für ökologische Landwirtschaft. Darunter zählt aber auch sein Engagement für ein kleines rumänisches Dorf mit einer großen, aber auch sehr bewegten Vergangenheit: Deutsch-Weißkirch in Transsylvanien in den Karpaten: https://de.wikipedia.org/wiki/Viscri; https://de.wikipedia.org/wiki/Viscri#/media/Datei:Biserica_evanghelic%C4%83_fortificat%C4%83_Viscri.jpg
Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts ist dieses Dorf eine Siedlung der Siebenbürger-Sachsen Heute leben darin rund 450 Einwohner, hauptsächlich Rumänen, Roma und Ungarn. Die einst deutschen Siedler wurden im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg teils umgesiedelt (nach Sibirien) oder vertrieben. Oder sie verließen zuletzt ihre Heimat mehr oder weniger freiwillig in der Zeit des kommunistischen Diktators Nicolae Ceaucescu (1918-1989) in Richtung Bundesrepublik Deutschland. Mit dessen Sturz endete ein großes Dorfvernichtungsprogramm, so dass auch die alten Bauernhäuser und die Wehrkirche in Viscri, die rumänische Bezeichnung von Deutsch-Weißkirch, erhalten blieb. Der damalige englische Kronprinz Charles begann, sich nach seinem ersten Besuch in Rumänien 1993 für das romantische Dorf bei einem Besuch zu begeistern. Er kaufte zwei Anwesen am Rande der Karpaten, darunter Viscri mit einem Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert. Dort betreibt er bis heute erfolgreich biologisch-organische Landwirtschaft – und eben auch die Honig-Herstellung. Viscri erhielt inzwischen den Status eines UNESCO-Welterbes und entwickelte sich zu einem Tourismus-Magneten: https://www.rferl.org/a/romania-king-charles-village-viscri/32042596.html
Was weniger bekannt ist: Mit Klaus Johannis stellt ein Nachkomme der einstigen Siebenbürgen-Sachsen gegenwärtig den rumänischen Staatspräsidenten. Ob er bei den Krönungsfeierlichkeiten am morgigen 06. Mai zu sehen sein wird, ist nicht bekannt. Wohl aber sind die Beweggründe des britischen Königs Charles III. bekannt, sich in und für Viscri in konservativem Sinne zu engagieren. Will Lloyd hat im aktuellen, linksliberalen NEW STATESMAN (05.-11. Mai 2023) ausführlich geschildert, wie sich Charles schon früh den modernistischen Strömungen in der Städteplanung sowie in der industriell betriebenen Landwirtschaft in seinem eigenen Land widersetzte. Bereits früh hatten die Gedanken insbesondere der esoterisch-antimodernistisch orientierten Schriftsteller Laurens van der Post (1906-1996) und Kathleen Raine (1908-2003) Einfluss auf den britischen Thronfolger gewonnen. Kann Charles als König eines demokratischen Landes mit seinen Vorstellungen und Erfolgen, die er auf dem Gebiet einer nachhaltigen ökologischen Landwirtschaft hier und in Rumänien erzielte, Einfluss nehmen?
Vom Westen reisen in Richtung Osten
Großbritannien bleibt europäisch – was sonst!? Daran kann auch der Brexit letztlich nichts ändern. So denke nicht nur ich im „Land der Demokratie“, in dem ich mich eines „Settled Status“ als EU-Bürger erfreue. Als bewusste Europäer betrachten sich auch viele Briten, die als mediales Sprachrohr - außer dem „Guardian“ - seit einiger Zeit auch den wöchentlich erscheinenden „THE NEW EUROPEAN. Think without borders“ lesen können. In der aktuellen 336. Ausgabe des liberalen Blatts finden u.a. sich kritische Artikel zur britischen Regierungspolitik, aber auch zu den Unruhen in Frankreich und den Entwicklungen in Italien, Spanien, Deutschland und Österreich. Dazu gehören auch Betrachtungen über die Arbeiten des Fotografen Colin Jones, des polnischen Filmregisseurs Krzysztof Kieslowski (THE THREE COLOURS TRILOGY: Red, White and Blue) und die gegenwärtig laufende Kunstausstellung in Amsterdam zum Werk von Johannes Vermeer. Auf der dazugehörenden Webseite findet sich ein weit nach Osten reichender Aufsatz von Isabel Hilton vom 16.04.2023 über die aktuelle chinesische Politik, die die westlichen Länder herausfordert: https://www.theneweuropean.co.uk/xi-jinpings-alternative-world-vision/
Wer als Deutscher von Oxford aus nur etwas in Richtung Osten reist, wird schnell nicht nur auf die geopolitische Lage sondern auch auf die Gefühlslagen der Bundesdeutschen stoßen. In Berlin erlebte ich wieder einmal, dass und wie stark Deutschland zu einem Einwanderungsland für Menschen aus dem Süden (Afrika) und aus dem Osten (Osteuropa) geworden ist. In Dresden, der Stadt, die noch im Februar 1945 sehr stark zerstört wurde, erinnerte ein Graffito daran, dass gegenwärtig der Krieg in der Ukraine ganze 753 km entfernt tobt. In Stettin/Szczecin, der Ostsee-Hafenstadt, die 1945 einen vollständigen Bevölkerungsaustausch (von Russen vertriebene Polen vertrieben Deutsche) erleben musste, bewunderte ich – wie in Dresden – die sichtbare Heilung der Wunden des letzten Weltkrieges. Die langfristigen, aber unsichtbaren mentalen Langzeitfolgen des letzten Krieges konnte ich in Leipzig ausmachen: Dort, in der Stadt der friedlichen Revolution von 1989, stießen meine Frau und ich zufällig auf den Germanisten Dirk Oschmann („Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“, 5. Auflage 2023). Im verständlichen Zorn hat er darin allen Deutschen einen Spiegel vorgehalten, der zeigt, wie nach mehr als einer Generation noch immer die im östlichen Teil Geborenen benachteiligt sind.
Nachrichten von Dodo und Manny aus Oxford
Im tierischen Ernst: Von beiden Tieren gibt es sagenhafte Berichte. Vom ersteren war schon die Rede. Es gilt als ausgestorben, lebt aber in der Literatur und – ausgestopft – im Naturgeschichtlichen Museum in Oxford weiter. Nun hat kürzlich der wohlinformierte GUARDIAN berichtet, dass die amerikanische Firma Colossal Biosciences den Dodo in ihren gentechnischen Labors nachzüchten will:
Die Firma ist wissenschaftlich in den USA gut vernetzt und hat sich vorgenommen, dem allgemein beklagten Artensterben aktiv zu begegnen. Dazu gehört als erstes sichtbares Ziel, bis zum Jahre 2027 ein behaartes Mammut zu reproduzieren. Auch in Oxford wartet man darauf. Denn ein lebendes Fossil ist vor wenigen Monaten im zarten Alter von (angeblich) 119 Jahren gestorben: Emmanuelle, liebevoll Manny genannt, war der Star von Regent’s Park College und hatte viele Jahre an dem traditionellen Schildkröten-Rennen der Oxforder Colleges teilgenommen. Die OXFORD TIMES berichtete ausführlich am 13.10.2022 von Mannys letztem Geburtstag, an dem sie einen gepflegten Löwenzahl- und Gurken-Kuchen verspeisen durfte.
Dodo in Oxford's Osney Island
Das Foto habe ich von einem großen Poster am Eingang der Insel Osney gemacht, die zwischen der Themse und einem Nebenfluss in Oxford liegt. Natürlich hat es den Dodo nie in Oxford gegeben, denn dieses (in der Evolution) flugunfähig gewordene Tier aus Mauritius (im Indischen Ozean) ist schon seit Jahrhunderten ausgestorben. Leider auch mit menschlicher „Hilfe“. Es war ein Meter groß und wog zwischen 10,6 und 17,5 kg. Das erhaltene Skelett, das im Naturkundemuseum der Universität Oxford liegt, hat als Vorlage für eine Nachbildung – und für die Traum-Geschichte von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ gedient, die jedes englische Kind kennt.- Osney hat neben alten gemütlichen Häusern ein hochmodernes kleines Turbinen-Elektrizitätswerk aufzuweisen, das von den dortigen Einwohnern als Genossenschaft organisiert und finanziert wurde und diesen nun seit einigen Jahren den Strom liefert (durchschnittlich 188 Mega-Watt-Stunden im Jahr). Das mittelalterliche Gegenstück ist die nahegelegene Abteikirche vom Ende des 12. Jahrhunderts.
Oxford, eine Stadt mit Tradition und Zukunftsvisionen. Von dort sende ich viele gute Wünsche für ein traumhaftes Weihnachten und eine bessere Wirklichkeit im neuen Jahr 2023!
Zwischen Cherwell und Themse – zwischen Riga und Oxford
Ebenso wie Berlin nicht nur an der Spree, sondern auch an der Havel und an der Panke liegt, so hat die Stadt Oxford ihre Ufer an der Themse und an denen des Flusses Cherwell. Das Foto zeigt die herbstliche Stimmung am Cherwell, auf dem im Sommer die flachen Punting-Boote der Studenten und Touristen gestakt werden. Dabei geht es an mehreren College-Gebäuden vorbei. Darunter ist das junge Wolfson-College. Der aus Riga stammende russisch-britische Philosoph Isaiah Berlin (1909-1997) war 1966 dessen Gründungspräsident. Er hatte in St. Petersburg die Februar- und dann die Oktober-Revolution erlebt. Seine jüdische Familie war dann aber 1921 nach England gezogen. Im November 1945, trafen sich die unter Stalin unterdrückte Dichterin Anna Achmatowa (1889-1966) und der junge britische Diplomat Isaiah Berlin im vom Krieg gezeichneten Leningrad, früher St. Petersburg, dem sie einige Gedichte widmete. Der ungarische Schriftsteller György Dalos schrieb darüber den Roman „Der Gast aus der Zukunft“ (1996/2002). Zwanzig Jahre später kam Achmatowa nach Oxford, wo sie auf Veranlassung von Berlin die Ehrendoktorwürde erhielt. Dort sprach sie in russischer Sprache dieses Gedicht:
https://podcasts.ox.ac.uk/anna-akhmatova-reading-her-poems-about-isaiah-berlin-oxford-1965
Zu Ehren des politischen Philosophen und Vertreters einer offenen Gesellschaft Isaiah Berlin werden jährlich Vorträge in Riga veranstaltet: https://isaiah-berlin.wolfson.ox.ac.uk/Riga . Berlin mahnt damals wie heute: „Let me reiterate: liberty in on sense is basic, the one value which is presupposed by all others in human life – without that no choice, no action, subject or object of moral thought; in my sense, no humanity” (an den amerikanischen Philosophen Henry S. Richardson, 20.04.1988).
Das zweite Elisabethanische Zeitalter ging zu Ende
Selten erlebt man historische Persönlichkeiten und Momente so direkt wie in diesen Tagen der Trauer um Königin Elisabeth II.. In London waren in Trauer vereint Alt und Jung, und zu der Trauerfeier am 19. September 2022 kamen Repräsentanten aus aller Welt. Es gibt einen neuen König, Charles III., aber die Probleme, insbesondere der Krieg in der Ukraine, die globale Wirtschaftskrise und der Klimawandel bleiben. Ein Blick in die Geschichte, hier Großbritanniens, erscheint dennoch sinnvoll.
In der Zeit der englischen Königin Elisabeths I., 1533 geboren, Herrscherin 1559-1603, einer gebildeten und energischen Herrscherin, erlangte England globale Bedeutung. Die Schiffe der Königin, darunter die des Seefahrers Walter Raleigh, erkundeten neue Länder und errangen militärische Stärke auf den Weltmeeren. 1588 wurde die spanische Armada geschlagen und erlitt an der Küste Irlands Schiffbruch. Wie in der Gegenwart war die politische Elite in jener Zeit zerrissen und voller Intrigen. Andererseits ging es wirtschaftlich bergauf, und mit William Shakespeare und anderen Zeitgenossen erwarben sich die englische Literatur und das Theater dauerhafte Weltgeltung. Das goldene Elisabethanische Zeitalter dauerte immerhin 44 Jahre.
Elisabeth II., 1926 geboren, war Königin des Vereinigten Königreichs seit 1952. Sie starb am 08.September dieses Jahres, nachdem sie wenige Monate zuvor noch ihr 70-jähriges Jubiläum feiern konnte. Noch zwei Tage vor ihrem Tode hat die „Queen“, wie sie auch weltweit genannt wurde, die neue Premierministerin mit der Regierungsbildung beauftragen können. Sie war eine integre Persönlichkeit und Monarchin, die aus christlicher Gesinnung und hohem Verantwortungsethos – aber ohne wirkliche Macht – wirkte. Ihre vorbildhaft einende Lebensleistung fand leider wenig Nachahmung in der herrschenden politischen Elite Großbritanniens, die aber über kein Empire mehr verfügt. Diese Elite, wesentlich verantwortlich für den Brexit, muss sich angesichts der wirtschaftlichen Probleme damit trösten, dass ihre Sprache, das Englische, die Welt beherrscht. Es ist nur zu hoffen, dass Charles III. das Werk seiner Mutter in einer unruhigen Welt fortsetzen kann.
Kommentar: Der Zyniker im Kreml mag manchmal auch schmunzeln ...
Europäische Possen angesichts eines blutigen Krieges: Wladimir P. mag trotz der Probleme, die ihm die widerspenstigen Ukrainer bereiten, auch manches Mal grimmig schmunzeln: Anlass dazu geben ihm seine anderen europäischen Nachbarn zur Genüge. Die EU mit ihrer langandauernden Diskussion, ob und wie und wann ein Ölembargo gegen Russland verhängt werden sollte. Die deutsche Bundesrepublik, vertreten durch die Verteidigungsministerin, zeigt in den Medien aller Welt, wie verteidigungsunfähig die Republik gegenwärtig ist. Abgesehen von dem sybillinischen Schweigen des Bundeskanzlers muss das Engagement der Ministerin für ihre Truppe als lustlos bezeichnet werden – und das angesichts deren abnehmender Einsatzfähigkeit und der gerade beschlossenen hohen Aufstockung des Wehretats (wegen des Krieges in der Ukraine). Aber es gibt noch die fortlaufende politische Posse in London: Als Ergebnis einer langen Untersuchung der „Partygate-Affäre“ (Aufdeckung der vielen Parties während des Lockdowns in Whitehall), die eine hohe britische Beamtin – neben der Londoner Polizei – anstellte, wurde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Regierung Johnson und ihm selbst grobe Verstöße gegen die Covid-Schutzbestimmungen bescheinigt. Zugleich wurde festgestellt, dass im Regierungszentrum des Vereinigten Königreiches massenhaft gegen den dort selbst aufgestellten ethischen Verhaltenskodex verstoßen wurde. Die Polizei verhängte Geldstrafen, auch gegen den Premierminister. Was tat daraufhin der Regierungschef? Er änderte prompt den Verhaltenskodex, der künftige Verstöße verniedlicht und somit Rücktritte von Ministern oder Premier unwahrscheinlicher werden lässt. Vom Rücktritt des Premiers, den sogar Viele in seiner konservativen Partei fordern, keine Spur, von Scham ebenso wenig. Dafür viel Fremdscham. Ob Boris Johnson bei seinen regelmäßigen Treffen mit der Queen ihr noch in die Augen schauen kann?
Krieg in Osteuropa
Der russische Präsident Putin setzte im Februar seine Panzerkolonnen in Richtung Westen in Marsch, um den russischen Machtbereich zu erweitern. Trotz wirtschaftlicher Sanktionen, heftiger Gegenwehr der Ukrainer und westlicher Waffenlieferungen hat er größere Teile der Ostukraine besetzen können. Völkerrechtliche Verträge und Menschenrechte hat Putin missachtet und Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Keiner kann zur Zeit vorhersehen, ob sich der Konflikt begrenzen, geschweige denn schnell mit diplomatischen Mitteln beenden lässt. Das ist die bittere Bilanz nach einem Vierteljahr in Europa. Die Erfahrungen nach zwei Weltkriegen im langen 20. Jahrhundert wurden nicht beherzigt. - Es gilt, das Handeln des Autokraten und Menschen Wladimir Putin, der sich auf eine Elite aus Oligarchen, Geheimdiensten und Militär stützt, zu ergründen und ihn zum Frieden zu bewegen. Das politisch, wirtschaftlich und kulturell wichtige Land Russland muss wieder in die Völkergemeinschaft mit ihren Regeln zurückkehren.
Der Rückgriff auf die Geschichte ist wieder einmal nützlich. Der britische Historiker Richard J. Evans, durch seine dreiteilige Geschichte des Dritten Reiches bekannt geworden, hat in THE NEW STATESMAN (April 2022) das Verhalten von Putin mit dem von Hitler und Stalin verglichen und die Unterschiede betont. Auch die Frage, ob es sich um Völkermord in der Ukraine handelt, hat Evans diskutiert und bejaht:
https://www.newstatesman.com/international-politics/2022/04/why-putins-war-in-ukraine-turned-into-a-military-disaster Hier die Schlusspassagen des Essays in deutscher Übersetzung:
Sowohl Hitler als auch Putin wurden zu ihren tödlichen Vorstellungen von Gefolgsleuten ermutigt, die kein kritisches Wort über ihre jeweilige Politik äußerten. Sowohl bei Putin als auch bei Hitler führte die Ideologie – bei dem Einen der nationalistische Glaube an den russischen Charakter der Ukrainer, bei dem Anderen der dogmatische Glaube an die Überlegenheit der „arischen Rasse“ - zu einem übersteigerten Selbstvertrauen. Das führte schließlich zu demütigenden Niederlagen. Putin hat den Angriff auf die Ukraine mit der Behauptung begründet, die „Nazis“ in der ukrainischen Regierung würden die Vernichtung der Russen in der östlichen Donbas-Region anstreben. Aber hier endet bereits die Ähnlichkeit zwischen den beiden Diktatoren. Putin betrachtet den Zusammenbruch der Sowjetunion als nationale Katastrophe und will das Russland der vorherigen Jahre wiederherstellen. Er will dabei jene Nachbarländer „absorbieren“, denen er die Selbständigkeit abspricht. Hitlers Ziele waren – im Gegensatz zu Putins – nicht auf eine Ecke von Europa begrenzt. Er beanspruchte über die Rücknahme der Gebietsverluste durch den Vertrag von Versailles (1919) und regionale Hegemonie hinaus noch mehr. Hatte er doch bereits am 05. November 1930 seinen Anhängern zugerufen, dass kein Volk mehr als das deutsche Volk ein Recht darauf hätte, den Plan zur „Weltherrschaft“ zu verfolgen. Für Hitler war also der Einmarsch in die Sowjetunion nur ein Schritt in Richtung einer „Weltherrschaft“. Er fühlte sich für Deutschland angeblich verraten durch Sozialisten und Juden durch den „Dolchstoß“ im Ersten Weltkrieg. Putin glaubt, dass die russische Nation sowohl 1917 als auch nach 1989 von jenen Führern verraten wurde, die die Integrität des Landes aufgegeben hätten. Somit sind die Völkermorde als die Ergebnisse sowohl bei Hitlers als auch bei Putins Bemühungen um Revision zu sehen. Dass Hitler dabei geplant hatte und Putin nicht, ändert nichts am Schrecken, der heute in der Ukraine herrscht.
Frühling 2022
Auf die Kriegslage in der Ukraine und deren internationalen Auswirkungen nicht einzugehen, ist schlicht unmöglich. Nicht nur das große menschliche Leid wird uns durch die Medien ins Haus getragen. Darin wächst auch die Angst vor dem Übergreifen der Kriegshandlungen auf die direkten Nachbarstaaten. Hierzu passt die Stimme von Helmut Müssener aus Schweden, der die beiliegende Ansprache in seiner Heimatstadt Östhammar hielt. Sie spiegelt die wachsenden Sorgen der bisher neutralen Länder Finnland und Schweden (in Schwedisch, Englisch und Deutsch): https://www.dropbox.com/sh/42e2jyeoxdgcf6z/AADgWUTtCDqdYGoQGGYkSrqza?dl=0
Die ideologischen Hintergründe des Krieges werden deutlich in dem Interview, das die renommierte englische Zeitschrift NEW STATESMAN im April 2022 mit Sergej Karagonow, einem ehemaligen engen Berater von Präsident Putin, führte. Er spricht von einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und dem Rest der Welt („proxy war between the West and the rest“): https://www.newstatesman.com/world/europe/ukraine/2022/04/russia-cannot-afford-to-lose-so-we-need-a-kind-of-a-victory-sergey-karaganov-on-what-putin-wants
Die deutsche Bundesregierung spricht zu Recht von einer „Zeitenwende“.
Und trotz alledem – auch trotz Corona - kommt der Frühling wieder ins Land. Mein Interesse galt dieses Mal den Schmetterlingen und Zugvögeln. Diese Lebewesen begeistern mich durch ihre Anmut und durch ihre Möglichkeiten, sehr große Entfernungen zu überwinden. Es muss nicht unbedingt ein Fernrohr benutzt werden, wenn man jetzt Vögel und Pflanzen in ihrer Entwicklung beobachtet. Es ist immer wieder erstaunlich, zu welchen Leistungen Schmetterlinge und Zugvögel fähig sind: https://naturdetektive.bfn.de/lexikon/tiere/insekten-spinnen/distelfalter-eine-unglaubliche-reise.html
Ein weiteres positives Zeichen: Neues Leben entsteht in Deutschland durch die sogenannten Mini-Wälder (Tiny Forsts). Um dem Waldsterben (s.u. Eintrag vom 21.Mai 2020 über die „Kulturlandschaft Wald“) die Stirn zu bieten, sind ganze Schulklassen dabei, die Ideen des japanischen Botanikers und Pflanzensoziologen Akira Miyawaki (1928-2021) umzusetzen: Miniwälder für das Klima, die aus vielen verschiedenen, standortpassenden Baumarten bestehen. In dem Hallenser Landschaftsökologen Bernd Reuter hat Miyawaki einen Nachfolger gefunden, der mit Schülern in Schkopau die ersten Miniwälder in Sachsen-Anhalt gepflanzt hat; vgl. Mitteldeutsche Zeitung vom 25.03.2022: https://www.mz.de/mitteldeutschland/saalekreis/schuler-der-sekundarschule-schkopau-pflanzen-miniwalder-fur-das-klima-3356246?reduced=true
Einen schönen Frühling, einen sonnigen Sommer und einen baldigen Frieden in Europa wünscht sich und Euch allen Euer Ekkehard!
Russia - Ukraine
Russland – Ukraine – Europa: Man kann getrost „Welt“ hinzufügen. Der Krieg, den Russland gegenwärtig gegen den kleinen Nachbarn führt, berührt durch seine humanitären - Tod und Vertreibung – und durch seine ökonomischen Dimensionen – Sanktionen und Energieversorgung – den ganzen Globus. Die ohnehin zerbrechliche Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, die die Grundlage für internationale Politik sind, korrodieren infolge von falschen und widersprüchlichen Erklärungen und Verhaltensweisen der russischen Regierung. Eine Großmacht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an der Spitze, versucht, mit Gewalt ihre Interessen durchzusetzen. Völkerrecht wird gebrochen. Die bitteren Lehren von zwei Weltkriegen scheinen zu Makulatur erklärt worden zu sein.
Die folgenden Notizen stammen aus mehreren Quellen und wurden auch deshalb in Englisch formuliert.
Fake news everywhere? After the disastrous and unethical policy of the American president Donald Trump we experience the unethical behaviour of a Russian president. Step by step we are learning that not only politicians in the West got false news from the Russian government. Even ordinary people in Russia got false informations about the situation in Ukraine. What was worse and still is the disinformation of Russian soldiers who were told to go to Ukraine and fight Nazism-Fascism. The truth is that Ukraine is not a Fascist state and did not start the present war. Isn’t it true that there is only one man, Vladimir Putin, who set on the fire of war because he wants to re-establish a Russian empire? Isn’t it true that ordinary people in Ukraine, children, women and men, are being killed? Isn’t it true that Russian soldiers are also dying? Isn’t it true that not only the Ukrainian but also the Russian ordinary people are or will be suffering from the war? The truth is that Russian women cannot forget and forgive that so many of their husbands and sons were killed in Afghanistan and elsewhere. So why is this war at all?
Swiss author Max Frisch and prescience: Read Ann O’Kelly’s Irish perspective of a well known story: Our Russian friend and our reaction to recent events reminded me of Max Frisch’s Biedermann und die Brandstifter (The Fireraisers), which story I remember reading in Max Frisch’s Tagebuch many years ago.
It’s very apt for today: Biedermann (Mr Everyman, Mr Citizen) allows this homeless guy to live in his attic, yes it’s a bit worrying to have this guy in the attic, but one has to be nicey-nice - and sieh da, next day the house is still standing. And then the first guy brings along a friend, who is just out of prison, and yes, imprisoned for arson, that’s worrying, but sieh da, next day the house is still standing. And then they start bringing in little barrels and they drop one and it suddenly smells like petrol. So you ask what is the petrol for? And the prison guy says he wants to burn the city down – what a joker – and he’s waiting for the wind to be in the right direction. But sieh da, next day the house is still standing, and you invite them to breakfast, and the prison guy is hanging out the window judging the wind direction and the other guy has gone to get wood chips. So you invite them to supper instead and open a few bottles of wine and they ask you for matches, but you don’t give them, you just light their cigarettes, not that wanting matches is at all suspicious. But as they leave after the third bottle and you are saying that we all should trust one another, they ask again for matches, and you give them the matches, as a real arsonist would of course have his own matches - and sieh da, next morning, you are burned to cinders and can’t even be amazed at this turn of events… 1948 that’s from and Frisch calls it a Burlesque – made it into a play later… Oh dear. Prescient…. (London, 04 March 2022)
Solidarity with Ukraine: Help where you can and show your sympathy with Ukraine. Look and hear how Western musicians declared their solidarity: https://www.youtube.com/watch?v=EDkV_vyA8wM
Großreinemachen - Spring-Clean
Port Meadows Oxford
Großreinemachen scheint die Devise in diesem Januar 2022: Das Bild zeigt eine Protestdemonstration, die sich am gestrigen 23.Januar in Port Meadows (Oxford) gegen die Verschmutzung der Themse richtete. Englands großer Fluss ist an diesem grünen Rand der Universitätsstadt normalerweise Zielort von Wanderern, von Paddlern und Ruderern. Er dient aber auch – wie in diesem im Januar - unerschrockenen Engländerinnen und Engländern dem Schwimmen in freier Natur. Nur war es vielen von ihnen zu viel geworden, den Resten menschlicher Aktivitäten im Fluss zu begegnen. Die Verschmutzung durch unkontrolliertes Einleiten von Abwässern - man kennt dies auch gelegentlich in Deutschland – tut weder den Menschen noch den Tieren in und über dem Fluss gut.
Im politischen Sinne droht ein Großreinemachen den Briten in Westminster, seitdem sich der Skandal um die Corona-Parties in Downing Street Nr. 10 ausgeweitet hat und massiver Protest bei vielen Parlamentariern und in den Medien entwickelt hat. Man denke nur an die erneute Veröffentlichung eines Fotos, das die Queen mutterseelenallein – den Corona-Restriktionen folgend - bei der Trauerfeier für ihren langjährigen Ehemann Prinz Philipp im April 2021 zeigte. Gleichzeitig feierte man am Amtssitz des britischen Premierministers lockere Feste. Die Nation war entsetzt. Boris Johnsons Ansehen als Politiker sank auf einen Tiefpunkt, und sein Verbleiben im Amt steht seitdem auf der Kippe.
Alle Jahre wieder
Weihnachten als Fest der Nächstenliebe, aber nicht nur das der Christen. Auch nicht nur das Fest der Wohlhabenden, sondern auch der Armen, denen unsere Solidarität gelten sollte. Erst recht ist Weihnachten ein Fest der Kinder, die der Zuwendung der Erwachsenen bedürfen, aber nicht nur am Weihnachtstag!
Inmitten von neuen Wellen der Corona-Pandemie, der Klimakrise und politischen Gefahren (im Osten Europas) wandern immer noch viele Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten in Richtung Westeuropa, um Wohlstand und Sicherheit zu erlangen. Die Medien berichteten ausführlich über die sogenannten Gestrandeten an der polnischen Ostgrenze. Darunter viele Kinder und Jugendliche, die unter unmenschlichen Bedingungen eine Herberge suchen. Es ist nur ein Beispiel von vielen. Man denke nur an jene Kinder, die in den riesigen Zeltsiedlungen im Nahen und Mittleren Osten leben müssen. Auf deren Elend machte im Oktober die Theatertruppe "Handspring Puppet Company" unter dem Motto "AMAL MEETS ALICE" im Zentrum von Oxford aufmerksam. Die kleine Amal ist ein junges Flüchtlingskind in Gestalt einer riesigen Puppe. Sie trifft auf das englische Mädchen Alice, das jeder in Oxford als das Kind im Wunderland kennt. Beide wandern symbolisch gemeinsam mit ihren Erinnerungen und Hoffnungen durch die Stadt. Amal steht dabei stellvertretend für all jene Kinder, die von ihren Familien getrennt wurden. Amal reist mehr als 8.000 Kilometer durch Europa - von der syrisch-türkischen Grenze bis zur englischen Stadt Manchester: Diese epische Reise "THE WALK" wurde in Form einer Prozession von Tänzerinnen und Musikern dargestellt, um die Geschichte zweier miteinander verbundenen und von einander lernenden Kindern aus verschiedenen Welten darzustellen.- Auf das realistische, millionenfache Elend der Flüchtlingskinder weist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hin: UNICEF . Denken wir nicht nur an unsere, der Älteren, Wünsche, sondern vor allem an die Sehnsucht der Kinder und Jugendlichen in aller Welt nach Sicherheit, Geborgenheit und Entfaltungsmöglichkeiten. Wir sind es ihnen schuldig.
Remembrance Day - Volkstrauertag 2021
Gedenken diesseits und jenseits des Ärmelkanals. Die Erinnerung an den Ersten, den Großen, Weltkrieg ist in Großbritannien stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert. Die Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs wird in Deutschland zusammen mit dem Gedenken an die Opfer des Holocausts wachgehalten. Einige Gedanken bei der Feier in Oxford gingen zu den Kriegstoten der Familie Henschke, die in Frankreich und England liegen.
What impressed me most was the presence and the words of the representatives of the Church of England as well as those of the Oxford Jewish Community, the Muslim, the Hindu, the Quaker and the Humanist Communities. They represented the great diversity of Oxford’s population and solemnly showed their loyalty to Great Britain and its Queen. Led by the Lord Mayor of Oxford and framed by the military they all paid their tributes to the dead and laid down their traditional wreaths of poppies on the War Memorial. At the end of the First World War the poppy was the first flower to be seen in the mud of the Western Front amidst the devastation and desolation of the landscape of Flanders. The Royal British Legion adopted it in 1929 as a symbol of remembrance, sacrifice and hope after the first Armistice Day service took place on the 11 November 1919 on the grounds of Buckingham Palace.
It has always been a moving event. This time I went there to remember in silence my father and my uncle, my godfather. But could these two German soldiers, who fought and died in France and in the air over Great Britain, be equally remembered in Oxford as in Germany? After 1919 German politicians discussed the painful outcome of the First World War and wanted to remember the dead soldiers. In 1952 the so called “Volkstrauertag” was established as the day of mourning and ever since remembers the dead of all wars and all victims of violence.
Satire und Realsatire in Vergangenheit und Gegenwart
Das Vergnügliche zuerst: Aus Leipzig erhielt ich gerade das Buch „Freie Spitzen“, das sowohl voller Erinnerungen des Kabarettisten Bernd-Lutz Lange als auch prall gefüllt ist mit Witzen aus der „schlechten alten Zeit“ des Sozialismus. Der Leipziger Graphiker Egbert Herfurth hat dazu die passenden, hintersinnigen Illustrationen beigesteuert. Beide wuchsen als „Kriegskinder“ auf, erlebten und notierten, wie sich das Volk „hinter dem Eisernen Vorhang“ mit bissigem Humor vom inneren Druck frei machten. Die Russen und die Polen ebenso wie die Bulgaren, Rumänen, Ungarn und die Deutschen taten es jeweils auf ihre Weise – und mussten oft genug dafür bis zum großen Umbruch um 1990 büßen. Das Buch ist sehr lesenswert, wenngleich mir oft das Lachen im Halse stecken blieb. Auch weil manche Witze dem Berliner Volksmund von heute entstammen könnten.
Eine fortlaufende Realsatire wird gegenwärtig in der Stadt an der Spree geboten, bei der sowohl die handelnden Politiker als auch die strapazierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung mitwirken - und die Berliner und ihre Gäste für menschliches und strukturelles Versagen büßen müssen. Die gerade griffig wirkenden Hieb- und Stichwörter sind „Wahlpannen“ und „Flughafen“. Hier ein paar Wortmeldungen: aus dem Berliner „Tagesspiegel Checkpoint“ vom 20. Oktober 2021:
„Es gibt in Berlin so etwas wie eine kollektive Verantwortungslosigkeit.“
„Die Verwaltung ist heute schlechter aufgestellt als jede Kreissparkasse.“
„Inkompetenz gibt’s auf allen Ebenen.“ „Es geht nicht alles schief. Aber es gibt strukturelle Probleme.“
Und nun ratet mal, wer hier zitiert wurde? Es war Klaus Wowereit, der bis 2014 die Stadt an der Spree regierte und nun statt Verwaltungsreformen gar eine Revolution im demokratischen Berlin fordert. Er hatte vorher dreizehn Jahre Zeit dafür …
Wahlen und Reisen in Zeiten der Pandemie
Nun ist es endlich heraus, das vorläufige Wahlergebnis: https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/ergebnisse.html
Von den Dreikämpfern errang Olaf Scholz von der SPD einen Erfolg, den er vermutlich vor dem müden Wahlkampf selbst nicht erwartet hatte. Die eigentlichen Verlierer waren der Christdemokrat Armin Laschet, der von Angela Merkel nur mäßig „geliebte“ Erbprinz, und die auch politisch „grüne“, aber sehr schlagfertige Annalena Baerbock. Beide waren mehrmals ungeschickt in die Öffentlichkeit getreten. Das übliche Gerangel darüber, wer die Kanzlermehrheit im neuen Bundestag mit welchen Koalitionspartnern erreichen wird, hat begonnen. Die Öffentlichkeit wird sich gedulden müssen. Vermutlich wird Angela Merkel, im Ausland auch als „Weltpolitikerin“ zum Abschied gelobt, noch bis Ende des Jahres amtieren müssen.
Wer in Deutschland wahlkampfmüde geworden ist, wird wach, wenn er von den Schwierigkeiten des Reisens in der Zeit der Pandemie erfährt. Und er wundert sich, wenn er erfährt, wie viele Menschen dennoch den Ärmelkanal überqueren.
Wir in Oxford taten es Mitte August 2021 und haben es nicht bereut: Die deutsche Metropole Berlin, das Rheinland und die alte flämische Stadt Gent haben uns - bei gutem Wetter – dafür belohnt. Für die Hinreise mit dem Flugzeug (zum neuen, nüchternen Flughafen Berlin-Brandenburg) benötigten wir neben dem Reisepass den Nachweis über die vollständige Impfung (Covid-Pass). Für die Rückreise mit der Bahn (durch den Tunnel) von Gent, Belgien, über Brüssel nach London brauchten wir neben dem Reisepass und dem Covid-Impfpass: den Nachweis der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung in UK (Settled Status), das bestätigte Formular der Visa- und Einreiseabteilung des UK-Innenministeriums (Public Health Passenger Locator Form) mit dem Nachweis über den gebuchten (englischen) PCR-Test (zwei Tage nach Ankunft in UK) sowie den Nachweis des (belgischen) PCR-Covid-Test (drei Tage vor Abreise).
Die Widersprüchlichkeit der Politik zeigte sich erneut sehr deutlich: Belgien und Deutschland wurden vom englischen Innenministerium als gelbes (Belgien) bzw. grünes (Deutschland) Risikoland betrachtet. Die aktuellen Zahlen der neuen Covidfälle zeigten dagegen UK eindeutig als besonders gefährliches Land aus: UK: + 29.323, Deutschland: + 5.682, Belgien: + 1.938 (Stand: 19.09.2021); https://www.worldometers.info/coronavirus/
Was bisher gar nicht in den Medien diskutiert worden ist: Wie können ältere Menschen, die sich nicht wie selbstverständlich in der digitalen Welt mit I-Phone und I-Pad zurechtfinden, die genannten Reisedokumente erwerben und aktualisieren? Mein Rat: im Rahmen des „Generationenvertrages über digitale Zusammenarbeit“ im Zweifelsfalle stets die benötigten Dokumente rechtzeitig ausdrucken…
Mauerbau in Berlin: Der 13. August 60 Jahre danach
Es war ein ungewöhnlicher Ort, an dem ich vom Mauerbau erfuhr: Ich fuhr als Salonjunge (Stewardlehrling) auf dem deutschen Frachter „Susanne Fritzen“, der Eisenerz von Narvik nach Deutschland brachte. Es war der Tag danach, am 14. August 1961, dass ich durch die gefunkte Bordzeitung von der unerwarteten Teilung der Stadt Berlin erfuhr. Die Regierung der DDR baute den „antifaschistischen Schutzwall“, um die massenhafte Abwanderung zu stoppen. Am Tag zuvor, am 12. August, waren laut Wikipedia noch 3.190 von Ost- nach West-Berlin geflüchtet. Zwischen 136 bis 245 Menschen – darunter 1962 der 18-jährige Peter Fechter – verloren bei Fluchtversuchen ihr Leben. Die 156 km lange Mauer um West-Berlin trennte auf lange Zeit viele Familien und bisherige Beschäftigte von ihren Arbeitsplätzen.
Heute vor 60 Jahren sei an den Schrecken erinnert, den ich wie viele Berliner bei dieser Meldung erlebte. Es klang zunächst unglaublich, dass diese schon seit 1945 viergeteilte Stadt nochmals – und dieses Mal durch eine Mauer – getrennt wurde. Berlin wurde das sichtbarste Zeichen für die Teilung Deutschlands in der Zeit des Kalten Krieges. Erst 1989 wurde diese Teilung beendet. Dies war das Ergebnis der friedlichen Revolution der Bewohner der DDR selbst, nachdem der ideologische und ökonomische Wettstreit zwischen dem Ostblock und dem Westen entschieden war und die geschwächte Sowjetunion auf Gewaltanwendung - anders als 1953, 1956 und 1968 - verzichtet hatte. Einen Tag, nachdem der Bundeskanzler es getan hatte, konnte auch ich - aus Stuttgart kommend - am 23.Dezember 1989 wieder durch das Brandenburger Tor gehen...
Zwei Jahre vor dem Fall filmte der kanadische Kameramann Jean Bergeron die Mauer, die Ost-Berlin von West-Berlin trennte. Dieser Bericht dokumentiert deutsche Geschichte:
https://www.youtube.com/watch?v=IaEkuPO89lc
Welcher Weg? Which Way?
Corona, Flutkatastrophen in Westeuropa, Frust der Naturwissenschaftler und Griff der Milliardäre nach den Sternen
Corona, flooding in Western Europe, frustrated scientists and the billionaires‘ reaching for the stars
Politisches Versagen hat in der Corona-Pandemie anfangs überall fatale Folgen gehabt. Man denke an die USA unter Trump und Brasilien unter Bolsonaro. Dank der Forschungskapazitäten in einigen europäischen und asiatischen Ländern wurden in extrem schneller Zeit Impfstoffe entwickelt, die in einigen Ländern, z.B. dem kleinen Israel und dem riesigen China, zur Immunisierung des überwiegenden Teils der Bevölkerung geführt hat. Bei der Verteilung der Impfstoffe zeigte sich aber wieder einmal die Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern, aber auch die Ungleichheit innerhalb der wohlhabenden Länder selbst:
Indien, das nach China bevölkerungsreichste Land der Erde, wurde von der Pandemie vermutlich am allerstärksten getroffen. Von Afrika wissen wir es noch nicht. In Indien mit seinen 1,3 Milliarden Menschen hat es unter Modi groteske politische Fehlentscheidungen – und zugleich die schnelle Entwicklung eines eigenen Impfstoffes gegeben. Experten haben kürzlich geschätzt, dass dort die Corona-Todeszahlen zwischen 3 und 4,7 Millionen (Januar 2020 bis Juni 2021) die offiziellen Meldungen um ein Zehnfaches übertreffen. Die Bilder sprechen Bände; vgl. Associated Press vom 20.07.2021:
Wie sieht es im wohlhabenden Westeuropa aus, in dem die Pandemie noch keineswegs überwunden ist? Ähnlich wie die Klimaforscher, die die politisch Verantwortlichen zum Handeln auffordern, erhebt z. B. die amerikanische Wissenschaftlerin Devi Sridhar in Großbritannien ihre kritische Stimme. Sie warnt wie viele andere ihrer KollegInnen davor, angesichts der neuen Variante Delta die bisherigen Vorsichtsmaßnahmen aufzuheben:
https://www.zeit.de/gesundheit/2021-07/freedom-day-grossbritannien-corona-parade-inzidenz-infektion
Zu allem Überfluss plagen gegenwärtig erhöhte Corona-Krankenzahlen die britische Wirtschaft, die auf das verstärkte Testen auf Corona zurückgeführt werden. Zugleich werden weitere Auswirkungen des Brexits sichtbar. Bettina Schulz berichtet in der ZEIT vom 27.07.2021, wie sich Verzögerungen in der Logistikbranche durch die Zollabfertigungen negativ in den Regalen von Lebensmittelmärkten auswirken.
Ein Problem blieb den Briten bisher erspart: die vom Klimawandel beförderten Flutkatastrophen. Darunter stöhnen gegenwärtig einige westeuropäische Länder. Besonders in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz und im benachbarten Belgien haben flutartige Überschwemmungen zu etwa 200 Toten und Verwüstungen geführt. Trotz der großen Solidarität der Helferinnen und Helfer bleiben solche Bilder wie die von den Weinanbaugebieten an der Ahr haften:
Von Solidarität der Superreichen mit den Superarmen kann angesichts der Ereignisse wahrlich keine Rede sein. Dass dies gigantische Ego-Trips waren, bewiesen im Juli dieses Jahres zuerst Richard Branson (71), Chef der Virgin-Gruppe, und dann Jeff Bezos (57), Amazon-Gründer. Beide gaben Milliarden dafür aus, um allein bzw. in kleiner Begleitung für elf (!) Minuten schwerelos am Rande des Alls gewesen zu sein. Der Tesla-Autobauer Elon Musk (50) will noch folgen:
Der technische Fortschritt zeigt sich ambivalent: Die Menschen können einerseits zum Mond und Mars fliegen und in Rekordzeit Impfstoffe gegen Viren entwickeln:
https://www.hachette.co.uk/titles/sarah-gilbert/vaxxers/9781529369892/
Andererseits können die Menschen mit ihrem egoistischen Streben nach immer mehr Wohlstand ihren eigenen Untergang durch Klima- und /oder nukleare Katastrophen bewirken. Muss der Ausgang dieser Entwicklung wirklich offen bleiben?
Urlaub von der Pandemie
Kurz vor dem offiziellen Sommerbeginn hat es schon heiße Tage hier in Oxford gegeben. Sowohl in der Themse als auch in dem kleineren Fluss Cherwell haben sich die Menschen bereits verschiedentlich abgekühlt. Die sogenannte Außengastronomie wird kräftig genutzt. Am 19. Juni setzte der Temperatursturz ein von 26 auf 13 Grad! Alle Restriktionen aufzuheben, verschob die britische Regierung um weitere vier Wochen auf den 19. Juli. Grund dafür waren die Sorgen um die aggressive Corona-Variante Delta, die die Zahl der Neuinfektionen auf 10.476 (18.06.2021) anwachsen ließ – trotz der großen Impferfolge mit 80 % (Erstimpfungen) und der vielen Tests. Deutschland zählte 1.284 neue, bestätigte Corona-Fälle bei einer Impfquote von 50 % (Erstimpfungen). Eben wegen der besonders ansteckenden Delta-Variante hat man in Berlin Großbritannien als Risikogebiet eingestuft. Mal sehen, wie sich das in der Urlaubszeit auf das Reisen auswirken wird.
Die Wirkungen der Pandemie hat der Fotograf Emilio Morinatti von Associated Press sehr eindrücklich festgehalten. Er hat zu Recht dafür den Pulitzer-Preis erhalten. Man kann ihm für diese traurigen Zeitzeugnisse nur danken:
Trotz alledem: Hier der Tipp für eine Reise nach Norfolk im Nordosten von England. Wir haben kürzlich einen Kurzurlaub von der Pandemie gemacht und mit der alten Bischofs- und (jungen) Universitätsstadt Norwich (143.000 Einwohner) angefangen. In der schmucken Altstadt mit der Kathedrale sollte man den Evensong (Abendgottesdienst mit Chorgesang) und das Grab der englischen Krankenschwester Edith Cavell (1865 bis 1915, in Brüssel von den Deutschen wegen Hochverrats erschossen) nicht versäumen; aber auch nicht die oberhalb davon gelegene Burg. Von den sogenannten Baedeker-Angriffen der deutschen Luftwaffe von 1942 hat sich die Stadt schnell wieder erholt. Unter den gastronomischen Ereignissen gefiel uns z.B. die Tapas in „Revolucion de Cuba“. Dagegen waren die zahlreichen zur Schau getragenen Tätowierungen oft Geschmacksache. Der zweite Teil der kleinen Reise galt zwei Naturschutzgebieten nahe der Küste mit Torfgebieten (the Broads) und dem Marschland, in dem Vogel- und Robbenbeobachter auf ihre Kosten kommen können. Wir kehren mit Sicherheit hierher zurück.
Auch darauf - die Geschichte holt uns immer wieder ein -, dass Deutschland nach der Reichsgründung sieben Jahre später, 1888, das sogenannte „Drei-Kaiser-Jahr“ erlebte. Dazu mehr und dass es zu der Zeit noch viel mehr Kaiser gab – in Europa und in Übersee - bei OUP:
Pandemic in India - a human and political desaster
A Russian super airplane bringing medical drugs and devices to India hit by the third Corona wave. The BBC reports from Northern Ireland:
More aid is coming from Germany and other Western countries. The daily infections rate mounted to about 400.000. Oxygen for treatment and human resources are lacking. One of the hotspots is the state of Maharashtra with the megacity of Mumbai (Bombay) in the West. How is the famous charity ADAPT (formerly Spastic Society of India) providing physical and psychological treatment for handicapped children (mostly from its shanty-town Dharavi)? I am in contact with its staff:
"Hope you and the other people of ADAPT are safe. Please let me know how you are protecting the handicapped children in Dharavi. How is vaccination going on in Mumbai?
Best wishes from Ekkehard"
Answer from Varsha, deputy of Dr Mithu Alur, the charity's founder, on 07/05/2021:
Hi. We are all safe, thank you. Dr. Alur had started tele therapy and online teaching immediately so we are in touch with the children and young adults. Some have returned to their villages of course.... They've started vaccinating you above 18 now... Most of us have taken the first dose of the vaccine. Waiting for enough vaccines to be available for the second shot. Hope you and Helen are well... And have taken both the shots. Regards".
Good news only - nur gute Nachrichten heute!
Heute, am 20. April 2021, scheint in Oxford erneut die Sonne, es gibt blauen Himmel wie in Spanien und Italien. Wie sieht das Stimmungsbarometer aus? In Deutschland gibt es für die Bundestagswahlen im September endlich drei Kanzlerkandidaten: Armin Laschet (60; CDU: nach Kämpfen und Krämpfen), Olaf Scholz (62; SPD: altgedienter Genosse) und Annalena Baerbock (40; Grüne: die junge Herausforderin). Die gesetzliche Corona-Notbremse muss gezogen werden. Das Impfen und die Stimmung müssen endlich besser werden. Hier in Großbritannien scheint die Stimmung schon besser zu sein, sind doch die Infektionszahlen – anders als in Deutschland – dank der großen Fortschritte beim Impfen und Testen stark rückläufig: Die Sieben-Tages-Inzidenz lag gestern in Oxford bei 23. In der deutschen Partnerstadt Bonn liegt sie gegenwärtig bei 189.
Was liegt bei solchem Wetter daher näher, als sich mit einem Pint (0,6 l) Bier in den Liegestuhl zu legen und einmal von der Normalität aus der Zeit vor der Pandemie zu träumen? Dieser weltweit geschätzte Saft wird auch in England gebraut, in den Pubs wegen der Pandemie aber lange nicht mehr getrunken. Es gibt sowohl die großen Brauereien in London, z.B. das dunkelblonde „London Pride“ von Fuller’s Brewery, als auch viele kleinere englische Brauereien. Auch in Oxford und Umgebung gibt es die Kessel, in denen gutes Bitter (leichtes helles Bier), Lager (untergäriges Bier) oder verschiedene Sorten Ale (übergäriges Bier) produziert wird. Positiv überrascht war ich, als ich vor einigen Jahren in der Hafen- und Universitätsstadt Bristol eine Mini-Brauerei entdeckte, die gerade in einer Garage mit der Herstellung des Hopfensaftes begonnen hatte. Ich war begeistert und bekam zu meinem Geburtstag promptest eine Kiste mit Proben der gesamten Braukunstprodukte aus Bristol geschenkt. Die Namen und Aufmachungen verlockend: Darunter waren „Optimist“ der Bristol Beer Factory (Pale Ale), „Shangri-La“ (IPA, d.h. India Pale Ale) von Arbor Ales, „Nor’Hop“ (Ultra Pale Ale) der Moor Beer Company, „Time Lapse“ (Bitter) von Good Chemistry Brewing und „Hubble Bubble“ (Pale Ale) der Zwei-Mann-Firma Tapestry. Das letztgenannte Getränk erinnerte an die Hexenküche in Shakespeare’s „Macbeth“ erinnern. Im 4. Akt treten bei Donner die drei Hexen auf. Sie rühren in einem riesigen Topf und beschwören „Double, double toil and trouble/Fire burn and cauldron bubble!“ Wie dieses Gebräu schmeckte, wissen wir nicht. Das Bier aus Bristol - das weiß ich inzwischen – ist gut.
Europe’s vaccine mess/Europas Durcheinander beim Impfen
So titelte am 16.03.2021 die NEW YORK TIMES in der Rubrik „The Morning“ von David Leonhardt. Und fuhr gleich fort: „Good morning. New coronavirus cases are declining in countries with high vaccination rates. Then there is Europe“/“Guten Morgen. Die Zahlen der Corona-Neuinfektionen sinken in jenen Staaten, die hohe Impfzahlen haben. Und dann gibt es (noch) Europa“.
Als die drei Besten werden Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate und Großbritannien genannt. Chile folgt inzwischen. Sogar in den USA gehen die Infektionszahlen zurück - parallel zur Steigerung der Zahl der Geimpften. Dagegen dümpeln die Impfaktionen in vielen EU-Ländern trotz steigender Infektionszahlen dahin. Sogar die Zeitung „BILD“ rief aus: „Liebe Briten , We Beneiden You!“:
Leider teilten die BILD-Journalisten ihren Lesern nicht gleichzeitig mit, wie katastrophal die britische Regierungspolitik seit Ausbruch der Pandemie ablief. Das hat Laura Kuensberg, die kritische BBC-Politikredakteurin den Briten aufgezeigt: https://www.bbc.com/news/uk-politics-56361599
Der Weckruf an die Europäer ist dringend erforderlich, da die Meldungen von Unzufriedenheit mit dem europäischen Schlammassel in einigen Ländern wie Italien, Spanien und Holland nicht zu übersehen sind. Ob der Ruf gehört wurde, als das Impfen mit dem AstraZeneca-Stoff plötzlich gestoppt wurde?
Warum verhält sich die deutsche Regierung, immerhin das geopolitische Kernland der EU, in der Impffrage so wenig pragmatisch und damit so wenig effizient, wie es wie die britische seit einigen Monaten tut?
Die Kritik an den Europäern von jenseits des Atlantiks ist berechtigt – ebenso wie die Kritik der Europäer an der Pandemie-Politik unter Präsident Trump berechtigt war.
Die Analyse der NYT nennt drei Ursachen:
Erstens: Es ist die überbordende Bürokratie („Too much bureaucracy“). Großbritannien, die USA und andere Länder beeilten sich, Verträge mit den Herstellern von Impfstoffen abzuschließen. Dagegen bemühte sich die EU-Kommission zunächst um Einigkeit zwischen allen 27 Mitgliedsländern, wie man solche Verhandlungen führen sollte. Dieser Prozess hatte Vorrang vor der Geschwindigkeit bei der Beschaffung der Impfstoffe.
Zweitens: Das Prinzip „Sparsam im Kleinen, doch verschwenderisch im Großen“ („Penny-wise and pound-foolish“). Die EU legte großen Wert darauf, in den Verhandlungen möglichst niedrige Preise für die Impfstoffe zu erzielen. Sie erreichte 15 bis 19 Dollar pro BionTech/Pfizer-Dosis und musste sich dann in der entstehenden Warteschlange hinten anstellen. Angesichts einer gewaltigen jährlichen Wirtschaftsleistung der EU wären die Ersparnisse bei den Impfstoffpreisen zu vernachlässigen gewesen, wenn man die Kosten eines einzigen neuen Lockdowns, z.B. in Italien, dagegengehalten hätte. Die Israelis zahlten, um den Stoff schnell zu bekommen, den Premium-Preis von 25 Dollar und erzielten bis jetzt eine Impfquote von 60 % (bei den erstmals Geimpften)!
Drittens: Die europäische Skepsis gegenüber dem Impfen („Europe is the world’s epicenter of vaccine skepticism“). In 19 Ländern wurden die Einwohner gefragt, ob der Covid-Impfstoff als sicher und wirksam anzusehen wäre. In China bejahten dies 89 % und in den USA 75 %. In Deutschland waren es dagegen nur 68 %, in Frankreich sogar nur 59 %. So war es kein Wunder, dass Deutschland und Frankreich so schnell den Einsatz von AstraZeneca mit dem Hinweis auf (sehr wenige, nicht genau untersuchte) Thrombose-Fälle stoppten.
Last but not least: Das „Licht am Ende des Tunnels“ – so wurde die schnelle Entwicklung von Impfstoffen und deren Nutzung bezeichnet – ist zwar noch klein in Deutschland (8,4 % bei den erstmals Geimpften), aber dort wenigstens nicht geringer geworden. Ein Beispiel für Erfolge beim Impfen sind Meldungen aus der Bundeshauptstadt. Z.B. diese aus dem eigenen Familienkreis. Mein Schwager schrieb begeistert von seiner zweiten Impfung: „Ich muss lobend erwähnen, dass es in Berlin sehr gut mit Hilfe von Militär und Studenten organisiert ist. Du wirst sogar kostenlos mit dem Taxi chauffiert, ein ganz toller Service. So hoffe ich, dass bald wieder etwas Normalität eintritt und dass man sich wieder etwas näherkommen darf.“ Es geht also doch, auch in der Hauptstadt, die so oft wegen ihrer Bürokratie kritisiert wird. Für alle EU-Mitgliedsstaaten muss jetzt – nach der erneuten Empfehlung des Impfstoffes AstraZeneca - die Devise heißen: „Nicht kleckern, sondern klotzen“: Werben für das Impfen, um Vertrauen wiederzugewinnen, und möglichst vielen Menschen den kleinen schützenden Pieks geben.
Übergangsgesellschaften 1871 – 1941 – 1951 – 1961 - 1991 - 2021
Die deutsche Geschichte ist wahrlich nicht arm an bedeutsamen Jahreszahlen. Daran soll erinnert werden. Die unten abgehandelte Erinnerung an die Reichsgründung von 1871 im besetzten französischen Königsschloss von Versailles: Es handelte sich um eine von Fürsten beschlossene nationale Einheit unter einem deutschen Kaiser; sie war sicher nicht die 1848 von deutschen Demokraten gewünschte. Nach Jahren des Friedens und der Prosperität kam der von deutscher Großmannssucht angezettelte Erste Weltkrieg mit nachfolgenden Krisen und dem Aufstieg des Faschismus. Zwei Jahre nach Auslösung des Zweiten Weltkriegs war 1941 das Jahr der ungebremsten deutschen rassistischen Aggression in Richtung Osten; es war zugleich Höhe- und Ausgangspunkt des Untergangs nationalsozialistischer Herrschaft im Jahre 1945.
Nur wenige Jahre später, 1951, wurde im sowjetisch bestimmten Teil Deutschlands der erste Fünfjahresplan zur Entwicklung der (sozialistischen) Wirtschaft begonnen. In dem von den Westalliierten bestimmten Teil Europas lief der amerikanische Marshall-Plan (European Recovery Program 1948-1951) auch für die (marktwirtschaftlich orientierte) Bundesrepublik aus.
Zehn Jahre später, am 13. August 1961, wurde die Mauer in Berlin errichtet und Deutschland noch sichtbarer geteilt. Ich erfuhr davon an Bord der TS "Susanne Fritzen", als ich mitten auf dem Atlantik die Bordzeitung las. Aber keine trennende Mauer der Welt hält ewig:
1989 rebellierten die Leipziger und Berliner erfolgreich auch gegen diese Mauer. Zwei Jahre nach dem politischen und ökonomischen Zusammenbruch der DDR beschloss der deutsche Bundestag im Jahre 1991 die Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin; damit wurde diese Stadt wieder Sitz eines vereinten, demokratischen Deutschlands.
Dreißig Jahre später, im Jahre 2021, ringen die Politiker in der prosperierenden, föderalen Bundesrepublik Deutschland um den rechten Weg aus der inzwischen weltweiten Corona-Pandemie. Die Viruserkrankungen beeinträchtigen das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben erheblich; viele Tote sind zu beklagen. Die sozialen und mentalen Folgen sind zur Zeit noch nicht abschätzbar. Was aber immer noch – nach über dreißig Jahren (formaler) Wiedervereinigung – erkennbar geblieben ist und zu denken gibt, das sind die zahlreichen Unterschiede zwischen den ost- und den westdeutschen Bundesländern und den Befindlichkeiten ihrer Einwohner. In dem Werk „ÜbergangsGesellschaft. Fotografien von Bernd Cramer 1985-2019“ (Halle 2019) meint Bernd Lindner in seiner Einleitung: „Das Gefühl „Deutscher zweiter Klasse“ zu sein, will unter den Ostdeutschen nicht weichen.“ Die große Chance im Übergang zu einer Gesellschaft nach der Pandemie liegt für die Deutschen darin, neben der wirtschaftlichen auch zu einer solidarischen, gemeinsamen mentalen Erholung aller in diesem Land Lebenden zu gelangen.
Die Pandemie, die Diplomatie und geweckte Erwartungen
Der Streit um Impfstoffe, der sich Ende Januar 2021 kurzfristig zwischen Großbritannien und der Europäischen Union entwickelte, zeigte, wie die Nerven aller Beteiligten bloßlagen. Von den Regierungen und vor allem von den Medien waren (zu) große Erwartungen geweckt worden, die angesichts von Lieferproblemen der Firmen zumindest in Deutschland enttäuscht wurden. Zum Glück für alle Beteiligten ruderte die EU-Kommissionspitze schnell mit der Drohung zurück, einen Exportstopp für Impfstoffe zu verhängen. Der diplomatische Schaden war jedoch schon geschehen, weil die Abstimmung innerhalb der EU mangelhaft und die Drohung mit dem Austrittsparagraphen im jüngst abgeschlossenen Brexit-Abkommen sich als ein Eigentor herausstellte. Der europafreundliche GUARDIAN wies am 29.01.2021 zu Recht u.a. darauf hin, dass Großbritannien bereits drei Monate vor der Europäischen Union Lieferverträge abgeschlossen, relativ mehr als diese Geld für entsprechende Forschungsprojekte vorgestreckt und schneller als die EMA (Europäische Agentur) die Impfstoffe zugelassen hatte: https://www.theguardian.com/society/2021/jan/29/we-had-to-go-it-alone-how-the-uk-got-ahead-in-the-covid-vaccine-race?CMP=Share_iOSApp_Other
Wo bleibt der Impfstoff? So fragte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am 05.02.2021: https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/politik/wo-bleibt-der-impfstoff-e942998/?reduced=true
Das Dossier, an dem 17 Journalisten mitgearbeitet hatten, bot eine detaillierte Schilderung des globalen Wettkampfs um Impfstoffe gegen den Coronavirus. Demnach hatte die EU bis dahin mit sechs Firmen vertraglich gesicherte Impfdosen vereinbart. Von den sechs waren nur drei Firmen in der EU zugelassen: Biontech/Pfizer, AstraZeneca und Moderna. Diese drei Firmen sollten rund 170 Millionen Dosen an Deutschland (80 Millionen Einwohner) für die jeweils erste und zweite Impfung liefern. Allerdings klaffte eine Lücke zwischen deren Lieferungsgeschwindigkeit und der Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit.
Der Zank war so unnötig wie ein Kropf. Er hatte aber auch sein Gutes: Neben der offenkundigen diplomatischen Blamage der EU-Kommission wurden die Kontinentaleuropäer auf mehrere Strukturmängel bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie aufmerksam:
- Die buchstäblich (für die Infizierten) fatale Langsamkeit bei drängenden Entscheidungen, die die EU-Kommission bei der Abstimmung innerhalb eines Staatenbundes von 27 Ländern zu treffen hatte und noch immer zu treffen hat. Dass dieses Problem bisher nicht gelöst wurde, ist nicht nur einigen osteuropäischen, konservativen Regierungen sondern auch der deutschen Bundesregierung anzukreiden. Letztere hat sich bis heute nicht mit den Reformvorschlägen des französischen Staatspräsidenten befassen wollen, der eine stärkere Integration der Europäischen Union gefordert hat.
- Die Planung, Entscheidungsfindung und Umsetzung praktischer Katastrophenpolitik innerhalb der Bundesrepublik Deutschlands geriet streckenweit zum Desaster. Das Gezerre zwischen der Bundesregierung und den Länderchefs und in den Ebenen darunter stieß wohl bei keinem Bundesbürger auf Verständnis. Die fortgesetzte Diskussion um den Schulbesuch ist nur ein (wichtiges) Beispiel. Dabei lieferten Wissenschaftler aller Disziplinen wiederholt konkrete Vorschläge. Zuletzt war es der „Aktionsplan für einen europaweit koordinierten Schutz vor neuen SARS-CoV-2-Varianten“: file:///C:/Users/Jakob/Documents/Blog/Aktionsplan-Covid-Europa.2021.pdf
Nur dank des relativ guten medizinischen Versorgungssystems stiegen die Infektions- und Todeszahlen in Deutschland bei weitem nicht so hoch an wie im Vereinigten Königreich. Andererseits zeigten gerade die Briten, die bisher mehr als elf Millionen Menschen erstmals geimpft haben, wie man durch gut organisiertes Impfen das Licht am Ende des Tunnels schneller erreichen kann. Bis Mai 2021 sollen alle über fünfzig Jahre alten Briten erstmals geimpft worden sein; vgl. BBC vom 06.02.2021: https://www.bbc.co.uk/news/amp/uk-55961387 Beide, Deutschland und Großbritannien, haben ihre politischen und strukturellen Defizite in der jetzigen Gesundheitskrise gezeigt, in beiden wurden wissenschaftliche Höchstleistungen bei der Entwicklung von Impfstoffen erzielt und großartige Hilfe von Ärzten und Schwestern geleistet. Es bleibt aber die dringende Aufgabe für die Zukunft, bessere, auch international abgestimmte Strukturen für Katastrophenfälle sowie die entsprechenden personellen und finanziellen Ausstattungen zu schaffen. Man bedenke: Es gibt neben Pandemien auch noch ökologische und außenpolitische Katastrophen, die möglich sind…
18. Januar 1871: Deutsche Reichsgründung in Versailles
18. Januar 1871 und heute
Hundertfünfzig Jahre deutsche Geschichte. Angesichts der heutigen aktuellen Probleme der Welt zeigt sich das europäische Ereignis von 1871 als scheinbar marginales Datum: Genau an jenem 18. Januar 1871 wurde im schicksalhaften Spiegelsaal des Schlosses von Versailles bei Paris König Wilhelm von Preußen von den versammelten deutschen Fürsten zum deutschen Kaiser ausgerufen.
Anton von Werners Darstellung der Ausrufung Wilhelms II. zum deutschen Kaiser
Die Vielzahl von Fürstentümern wurde zu einem Bundesstaat zusammengeführt. An der Spitze stand der preußische König Wilhelm. Planer und erster Kanzler war der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck. Was nach diesem – für die Deutschen letzten siegreichen – Krieg folgte, waren Jahrzehnte höchst wechselvoller Entwicklungen mit zwei Weltkriegen, Spanischer Grippe, Revolutionen und Wirtschaftskrisen. Sie führten nach der Befreiung vom zentralistischen NS-Führerstaat zu zwei sehr unterschiedlichen deutschen Staaten, die erst wieder 1990 zusammenfanden. Die Republik Deutschland fungiert heute als demokratischer Bundesstaat anstelle eines feudal zu nennenden Fürstenbundes von 1871. Vor allem aber stellen Deutschland und Frankreich auf dem Kontinent endlich den friedlichen Kern der Europäischen Union, eines nach Integration strebenden Staatenbundes, dar.
Die Umstände und die Finanzierung (!) des Ereignisses von 1871, das am Ende einer Reihe von sogenannten Einigungskriegen stand, sind seit über fünfzig Jahren bekannt. Sie sind in ihren Einzelheiten aber erst seitdem „sine ira et studio“ in einer Reihe wichtiger Historikerarbeiten beschrieben. Dazu gehören das Werk von Fritz Stern (Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder/Gold and Iron. New York 1977 bzw. deutsch Frankfurt, Berlin 1978), das Bild eines ambivalenten Preußens von Christopher Clark (Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia, 1600-1947. London 2007 bzw. deutsch: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947. München 2008, bes. Kap. 16 u. 17) und die gerade erschienene Studie von Christoph Nonn (12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreiches 1871-1918. München 2020; vgl. dazu den Bericht im SWR: https://www.swr.de/swr2/literatur/christoph-nonn-12-tage-und-ein-halbes-jahrhundert-eine-geschichte-des-deutschen-kaiserreiches-1871-1918-swr2-lesenswert-kritik-2020-10-21-102.html).
Auch in Corona-Zeiten lohnt ein Blick zurück. Die politischen Diskussionen und Spannungen in dem heutigen deutschen Bundesstaat, zwischen der Bundesregierung und den Ländern, zwischen der Zentrale und den Regionen, haben ihre „Vorläufer“. Auch wenn es das dominierende, problematische Preußen, das bereits die Nationalsozialisten einverleibt und die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst hatten, nicht mehr gibt.
Fünf Tage im Januar
Am ersten Januar 2021 konnten sich die Befürworter des Brexits freuen, dass die letzten Hürden für den faktischen Austritt aus der EU gefallen waren. Noch rechtzeitig zu Weihnachten 2020 war wenigstens ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union abgeschlossen worden. Die Europäer auf dem Kontinent sollten sich aber keinen Illusionen über die Stimmung in Großbritannien hingeben: Das Land und seine Teile sind immer noch stark gespalten. Umfragen im vergangenen Jahr ergaben, dass zwar etwa 46 % der Briten bei einem neuen Referendum für den Verbleib in der EU und nur 40 % für den Austritt stimmen würden; vgl.
https://whatukthinks.org/eu/questions/if-a-second-eu-referendum-were-held-today-how-would-you-vote/
Der irische Journalist Fintan O’Toole hat zu diesem Thema wiederholt das Verhalten der Briten, vorrangig der Engländer, analysiert und kritisiert, zuletzt in ZEIT-Online vom 01.01.2021:
Das Abkommen, „The Deal“, war das Ergebnis eines zähen Ringens, an dem die Vernunft auf beiden Seiten und das diplomatische Geschick des Franzosen Michel Barnier wesentlichen Anteil hatten. Es regelt neben dem essentiellen Handel von Gütern und Dienstleistungen u.a. auch visafreie touristische Reisen. Es vereinbart die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, z.B. bei EUROPOL, schafft Kooperationsmechanismen (Partnership Council, Special Committees, Working Groups) und ein Schiedsgericht bei Differenzen (Arbitration Tribunal):
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/draft_eu-uk_trade_and_cooperation_agreement.pdf
Fünf Tage später im neuen Jahr war es die zweite Welle der Corona-Pandemie, die den Brexiteers Essig in den Wein goss: Der britische Premier hat einen verschärften Lockdown mit all den wirtschaftlichen, sozialen und mentalen Auswirkungen für England (!) verkünden müssen. Die täglichen Infektionszahlen waren weiter auf einen Rekord von fast 60.000 gestiegen. Es sah und sieht nicht gut aus für das Vereinigte Königreich. Auch nicht für den Zusammenhalt: Die Schotten im Norden planen ein neues Referendum; sie wollen der EU beitreten. Im Westen „knabbert“ der Kompromiss über die faktische Zollunion Nord-Irlands mit der Republik Irland, Mitglied der EU, an der Souveränität, die die Brexiteers durch den Austritt wiedererlangen wollten. Aber: Eine neue Grenze mit Handelsschranken zwischen den beiden Teilen der Insel hätte mit Sicherheit wieder zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen wie vor dem sogenannten Good-Friday-Abkommen von 1998 geführt ; vgl.
Angesichts einer weltweiten Ausbreitung des Coronavirus und seiner Varianten ist Schadenfreude fehl am Platze. Jedes Land muss vor der eigenen Haustür kehren. Deutschland hat heute, am 05.01.2021, ebenfalls die Restriktionen verschärft und verlängert.
Dennoch keimt Hoffnung auf: In allen großen Ländern haben Massenimpfungen gegen das Coronavirus eingesetzt. Nach einem Wettlauf der Wissenschaftler in aller Welt konnte mindestens ein Dutzend wirksamer Impfstoffe entwickelt werden. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass im ersten Halbjahr die Massenimpfungen die Pandemie eindämmen werden.
Ekkehard Henschke, 05.01.2021
Artist Ai Wei-Wei: Evidence in Berlin
In May 2014 my wife and I went to see the Ai Wei-Wei exhibition that is on here in Berlin until 07 July 2014. Though you don't get the scale of course, please klick on the following link and you will see some of his works.
Her short report: It was the best exhibition of contemporary art I have seen for a long time. The man is just extraordinary - such technical skill, so many ideas, such courage, so politically involved, so humorous. The huge central courtyard with the stools is so beautiful in real life, as there are a couple of thousand stools, each one different. Wonderful things in marble - marble, for heavens sake - and wood and metal and photography and films of the various political actions. And then the wallpaper made out of the IOU's to all the people who sent him 1 million Euros to support him.
And things made from the metal bars out of the reinforced concrete of all those badly-built schools where over 5000 children were killed during an earthquake. It's thanks to him that we even know there were at least 5,000. Amazing films of him recreating his captivity of 81 days and an installation recreating his padded cell.
You should not miss this exhibition of the most important artist of the present day!
Menschen, die auch ich in Leipzig erlebte - nach der Wende
Herbst 1989 in Leipzig
Die heutige Meldung, dass der deutsche Nationalpreis an Christian Führer, Uwe Schwab und Christoph Wonneberger verliehen wurde, hat mich bewegt:
http://www.tagesschau.de/inland/nationalpreis-100.html
Den protestantischen Pfarrer Führer habe ich in meinen aufregenden Jahren (1992-2005) in Leipzig wiederholt in der Nicolaikirche erlebt. Diese barocke Kirche im Zentrum der Messe- und Universitätsstadt hatte der Protestbewegung jeden Montag ein christlich-revolutionäres Dach geboten. Führer beeindruckte als bescheidener, aber mutiger Mann während der Zeit vor, während und nach dem Schicksalsjahr 1989. Auch sein starkes soziales Engagement für die Arbeitslosen in der Stadt verdient hohe Anerkennung . Leipzig hatte sehr schnell mehr 120.000 industrielle Arbeitsplätze als Folge von Fabrikstilllegungen nach dem politischen und wirtschaftlichen Kollaps der DDR, aber auch wegen der erheblichen Schadstoffemissionen verloren. Der andere Pfarrer, Christoph Wonneberger, wohnte gar im gleichen Haus wie ich in der Leipziger Südvorstadt. Er war durch die Friedensgebete sehr bekannt worden, fiel aber gerade in den kritischen Wochen des Herbstes 1989 wegen einer schweren Erkrankung aus. Uwe Schwab, Mitbegründer des Neuen Forums, war als Bürgerrechtler besonders ins Visier der „Sicherheitskräfte“ der DDR geraten.
Zu der heutigen Meldung passt ein Projekt der Stiftung „Bürger für Leipzig“: Das Buch „Redefreiheit“ wird im Herbst 2014 erscheinen – 25 Jahre nach dem Fall der Mauer – und verspricht spannend zu werden. Darin werden die Tonbandaufzeichnungen von politischen Veranstaltungen während des Leipziger Herbstes 1989 erstmals ausgewertet: http://www.buerger-fuer-leipzig.de/stiftung/Redefreiheit.asp
Palestine and Syria
Fortunately there are some good European media reporting and commenting on the worst battlefields in the Near East: Palestine and Syria and the humanitarian crisises. Academics and artists are equally very much concerned. One of them is the conductor Daniel Barenboim who holds two passports – Israeli and Palestinians. As a UN Messenger of Peace he recently raised his voice in the British GUARDIAN and should be heard:
Barenboim ist u.a. Ehrendoktor der Universität Oxford und musikalischer Direktor der Berliner Staatsoper, aber auch ein bedeutender Pianist, den ich im Leipziger Gewandhaus mit Bachs "Wohltemperiertem Klavier" hörte. Zugleich versucht er seit längerem, durch die Musik, insbesondere durch das Orchester des West-Östlichen Diwans, eine Brücke zwischen Arabern und Israelis zu schlagen.
Leipzig - Berlin: 1989 - 2014 ein glückliches Kapitel deutscher und europäischer Geschichte
25 Jahre nach den Massendemonstrationen, die zur Öffnung der Mauer in Berlin, der deutsch-deutschen Grenze, zum Zusammenbruch des "Ersten deutschen Arbeiter- und Bauern-Staates auf deutschem Boden", der DDR, und der anderen "sozialistischen" Regime führten, haben nicht nur die Deutschen allen Grund zur Freude.
Die Chronik des 09. November 1989 liest sich heute noch wie ein politischer Krimi:
http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/day/9/month/November/year/1989
Und so sah es im November 1989 an der Berliner Sektorengrenze aus:
In Leipzig wurde 2014 mit einem riesigen Lichtfest an den 09. Oktober 1989 erinnert, an dem fast 100.000 Menschen friedlich und mit Erfolg demonstriert hatten. Auf Einladung von Bundespräsident Gauck nahmen in diesem Jahr die Staatsoberhäupter der vier östlichen Nachbarstaaten an der großen Erinnerungsfeier teil:
http://www.mdr.de/89/best-of-neunter-oktober100.html
Mit dem Erscheinen des Buches "Redefreiheit" wurden erstmals die intensiven Diskussionen in der Messestadt im Krisenjahr 1989 veröffentlicht:
http://univerlag-leipzig.de/catalog/article/1576-Redefreiheit
Ein neues Jahr – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte …
Leider ist die Stimme eines Menschenfreundes, der seit 30 Jahren mit sozialwissenschaftlichem Sachverstand Mut zur Lösung der Gegenwartsprobleme gemacht hatte, am Neujahrstag verstummt: Der deutsche Soziologe Ulrich Beck (1944-2015) schrieb und mischte sich ein. Sein Buch über die „Risikogesellschaft“ von 1986 rüttelte die Welt angesichts der Katastrophe von Tschernobyl auf. Darin und in der „Weltrisikogesellschaft“ von 2007 versuchte er, Wege „auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit“ aufzuzeigen. Damit schuf er Zuversicht für all jene nachdenklichen Menschen, die in einer weltweit vernetzten Gesellschaft leben und angesichts der Risiken von Katastrophen atomarer, politischer und ökologischer Art zu verzweifeln drohen. Der britische Soziologe Anthony Giddens bezeichnete Ulrich Beck als „den größten Soziologen seiner Generation“(http://habermas-rawls.blogspot.co.uk/2015/01/anthony-giddens-on-ulrich-beck-1944-2015.html).
Für mich ähnelt das Vermächtnis dieses Wissenschaftlers dem „Mythos des Sisyphos“, den der französische Denker Albert Camus mitten im Zweiten Weltkrieg veröffentlichte. Für kurze oder längere Zeit vermögen glücklicherweise die Musik und die schönen Künste unser Dasein zu verschönern. Lasst uns zuversichtlich in die Zukunft schauen wie dieser kleine Kerl, den ich kürzlich im Museum der Wiener Hofburg entdeckte.
Neues Jahr mit alten Problemen
Die Medien scheinen Anfang diesen Jahres von den mörderischen Aktivitäten islamistischer Gruppen und den Aufmärschen von Bewegungen in Deutschland und Frankreich gegen Immigranten beherrscht zu sein. Die Meinungsfreiheit gegen die Allmacht staatlicher „Fürsorge-„Organisationen, wie sich Geheimdienst heute darstellen, gilt es zu verteidigen. Pegida, Legida, Bärgida, Front National zwingen uns zum Nachdenken bringen, ob wir das gemeinsame europäische Haus weiter offen halten wollen. Deshalb sind die viel zahlreicheren Demonstrationen so wichtig, mit denen sich gleichzeitig Deutsche und Franzosen, auch hier in Großbritannien, Menschen gegen kleinbürgerliche, fremdenfeindliche Ressentiments zur Wehr setzen.
Daneben sollte nicht aus den Auge gelassen werden: Die wachsende Ungleichheit von Reichtum und deren soziale, politische und ökologische Folgen und Risiken. Ulrich Beck hat dieses akute Menschheitsproblem in der „Risikogesellschaft“ als Soziologe analysiert, Thomas Piketty hat es unlängst in „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ mit Zahlenmaterial aufbereitet. In diesen Tagen hat OXFAM, die weltweit agierende Organisation zur Bekämpfung von Armut und Hunger, den politischen und Wirtschaftsführern, die in diesem Januar in Davos wieder zusammenkommen, eines der größten Probleme der Menschheit vorgehalten; vgl.
O-Ton Mark Goldring, OXFAM-Chef, 2014: „Inequality is one of the defining problems of our age. In a world where hundreds of millions of people are living without access to clean drinking water and without enough food to feed their families, a small elite have more money than they could spend in several lifetimes”. Es ist nicht nur absurd, sondern inhuman und gefährlich, wenn die 80 reichsten Männer der Welt so viel besitzen wie fast 3,5 Milliarden Menschen (die Hälfte der Weltbevölkerung). In der Zeit des Elends des Zweiten Weltkrieges gegründet, hat sich OXFAM im Verbund mit den kritischen Medien zu einer Art Weltgewissen entwickelt und jetzt konkrete Vorschläge unterbreitet: U.a. Verlagerung der Steuerbelastung von Arbeit und Verbrauch zur Steuerbelastung von Kapital und Reichtum; Einführung von auskömmlichen Mindestlöhnen; Investitionen in allgemeine, freie öffentliche Versorgung mit Gesundheitsfürsorge und Bildung; globale Zielvereinbarungen zur Bekämpfung der Ungleichheit.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und unsere Umwelt
Theodor Bergmann zum 99. Geburtstag am 07.03.2015
For British and German readers please start with these pictures: http://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/gallery/2015/apr/01/over-population-over-consumption-in-pictures?CMP=EMCNEWEML6619I2
Human rights and our environment. Where are today's risks and how to handle them?
Gedanken zu diesem gewaltigen Thema kreisen um die Frage: Was für eine Welt hinterlasse ich eines Tages meinen Kindern und Kindeskindern? Wie sieht sie gegenwärtig aus, und was ist angesichts der Fülle von Problemen zu tun?
Wachstumsfetischismus und Weltrisikogesellschaft
Bei der Diskussion dieser beiden Problemkreise gehe ich von zwei Überlegungen aus: Zum einen, dass im Zeitalter der Globalisierung alles ökonomische, politische und ökologische Geschehen weltweit positiv wie negativ miteinander verbunden ist. Ich habe dabei das Prinzip der kommunizierenden Gefäße vor meinem inneren Auge. Zweitens, dass die aus diesem Geschehen erwachsenden Gefahren in der Regel von Menschen gemachte Gefahren sind. Es sind Risiken, die auch von uns Menschen weltweit gemeinsam auf den verschiedensten Ebenen bewältigt werden können.
Ich komme damit auf das, was der jüngst verstorbene Soziologe Ulrich Beck, der in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren auch kurz in Stuttgart-Hohenheim gewirkt hat, mit seinen Darstellungen zur Risiko- bzw.Weltrisikogesellschaft uns vor Augen geführt hat. Er hat gezeigt, dass wir aufgrund des technisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts zunehmend dessen Folgen ausgesetzt sind und diese wiederum die Risiken von Katastrophen beinhalten; dass die Risiken nicht mehr nur lokaler, nationaler oder kontinentaler Art sind, sondern inzwischen globaler Natur geworden sind; dass sie auch nicht mehr auf bestimmte Klassen, Schichten, auf Arm oder Reich begrenzt werden können, sondern uns alle auf diesem Planeten betreffen. Ich meine insbesondere die Gefahr atomarer und klimatischer Katastrophen, die räumlich und zeitlich potentiell unbegrenzt sind. An Szenarien dazu hat es keinen Mangel. An konkreten Fällen leider auch nicht.
Angesichts der noch immer dominierenden Ideologie des ungebremsten Wirtschaftswachstums plädiert Beck daher wie viele andere Wissenschaftler[1] vor ihm für eine „Gesellschaft des Weniger“.
Das Szenario für 2015
Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen aus allen Himmelsrichtungen darüber, welche Gefahren die weitere Vernachlässigung der natürlichen Umwelt haben wird und was diese auch für das friedliche Zusammenleben aller in Freiheit, Gleichheit und Solidarität bedeuten. Anfang 2015 konnten wir den zehnten Bericht des Weltwirtschaftsforums lesen. Er befasst sich mit den zwei globalen Risiko-Blöcken, die in diesem Jahr 2015 erwartet werden und auf die es zu reagieren gilt: Zum einen werden die globale Risiken genannt, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben: Dazu gehören in erster Linie zwischenstaatliche Konflikte (Ukraine), extreme Wetterereignisse, Versagen nationaler Staaten oder gar deren Zusammenbrüche (Griechenland) und die strukturelle Arbeitslosigkeit (südeuropäische Länder). Zu den weltweiten Risiken, die eine nachhaltige Wirkung haben, zählt der Bericht an erster Stelle das gesellschaftliche Problem der Wasserkrisen, dann die schnelle und starke Verbreitung von Infektionskrankheiten (Ebola), ferner die Massenvernichtungswaffen, aber auch die zwischenstaatlichen Konflikte mit ihren regionalen Folgen und – last but not least - das Ausbleiben von Reaktionen auf den Klimawandel[2]. Durchgehend verweist der Bericht auf die Möglichkeiten, diese Risiken durch weltweite Kooperation zu verringern. Über das internationale Kyoter Protokoll zum Klimaschutz soll Ende dieses Jahres wieder verhandelt werden. Die bisherigen Ergebnisse stimmen eher skeptisch.
Was bedeutet das Szenario für die Wahrung der Menschenrechte?
Was hat dies mit den Schlagwörtern der bürgerlichen Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zu tun, die nun schon 226 Jahre zurückliegt? Sehr viel, weil wir als Individuen sehr aufpassen müssen, dass die errungenen individuellen Menschenrechte nicht unter globalen oder nationalen sogenannten Sachzwängen (z. B. Wirtschaftswachstum > Arbeitsplätze) unter die Räder geraten. Zu der Frage der Freiheit: Es heißt immer so schön: Freiheit zu leben, zu lieben, zu reden, sich zu versammeln. Dies alles schön im Rahmen der geltenden Gesetze. In den rechtstaatlich und demokratisch organisierten Staaten wachen formal die obersten Verfassungsrichter darüber, dass die Gesetze und deren Anwendung mit den verbrieften Freiheitsrechten konform gehen. Wie sieht es aber aus, wenn es zu einem Zusammenprall der Kulturen kommt? Ich denke dabei an die Auseinandersetzungen um den Islamischen Staat. Ist die Anerkennung der Menschenrechte ein dauerhaftes Ergebnis von nur europäischen geschichtlichen Erfahrungen und abendländischer Ethik? Gilt noch „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“?
Wie hoch das Risiko der Freiheit sein kann, haben wir durch das Massaker an den Journalisten der Pariser satirischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ gesehen, die die Meinungsfreiheit in Anspruch nahmen und von Islamisten bestraft wurden. In der gesamten westlichen Welt sind zu Recht die Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Sympathien für die Journalisten und den Protest gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch religiöse Gruppen zu artikulieren. Eine andere Gefahr für die Freiheit des Einzelnen kommt genau von der Seite, die diese zu schützen hat: Vom Staat und seinen „fürsorglichen“ Organisationen. Spätestens seit den Terrorakten von 2001 erleben wir zunehmende Bemühungen der westlichen Regierungen, zur Abwehr von Terroristen eben diese Freiheiten einzuschränken. Ich denke an die Spionageorganisationen NSA der Amerikaner, GCHQ[3] der Briten und an den BND von uns Deutschen und an deren Wünsche, ungehinderten Zugang zu persönlichen Daten zu bekommen. Ich habe in Oxford den ehemaligen Direktor der NSA, Michael Hayden, erlebt, der in verführerischen Worten für die breite digitale Überwachung der Bevölkerung der westlichen Länder plädierte, um der weltweiten Gefahr des Terrorismus, insbesondere der Islamisten, Herr zu werden. Die Enthüllungen des IT-Spezialisten Edward Snowden haben das ganze Ausmaß der bereits bestehenden Überwachung aufgezeigt. Er ist das persönliche Risiko eines amerikanischen, gut bezahlten Computerspezialisten und Verfassungspatrioten eingegangen und hat sich bei seinen Enthüllungen auf die amerikanische Verfassung mit ihren Menschenrechten bezogen. Der amerikanische Leviathan droht ihn zu verschlingen, ins Gefängnis zu werfen dafür, dass er sich ganz konkret für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt hat. Allerdings sitzt er nun in der Falle in Moskau. Es ist erschreckend, wie relativ gering die öffentliche Reaktion war. Die Journalisten als „die vierte Gewalt“ sind sich der Gefahren am ehesten bewusst und polemisieren gegen entsprechende Regierungsvorschläge, aber wer ist schon für Snowden und gegen die Überwachung durch NSA, GCHQ und BND auf die Straße gegangen? Auch der tapfere Hans-Christian Ströbele, unser grüner Mann mit dem roten Schal, der Snowden in Moskau traf, hat für ihn kein Aufenthaltsrecht in Deutschland durchsetzen können – weil unsere amerikanischen Freunde ihn nicht als Verfassungspatrioten sondern als international gesuchten Verräter suchen.
Gleichheit ist ein nicht minder wichtiges Menschenrecht. Nicht erst seit der umfangreichen Arbeit des französischen Ökonomen Thomas Piketty über „Das Kapital im 21. Jahrhundert“[4] wissen wir von den vielen Formen von Ungleichheit auf diesem Planeten. Aufgrund eines umfangreichen Datenmaterials, das für einige westeuropäische Staaten und die USA bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht, gelangt er zu einigen „fundamentalen Gesetzen des Kapitalismus“. Für den allgemeinen Anstieg der Ungleichheit macht er die Tatsache verantwortlich, dass das Einkommen aus Kapital (ca 5 %) dauerhaft das Einkommen durch Arbeit (maximal 1,5 %) übersteigt. Aufgrund der daraus folgenden Konsequenzen für die einzelnen Volkswirtschaften und die Weltwirtschaft und ihre Menschen fordert er Umverteilung, um Ungleichheiten abzumildern, die der Marktprozess schafft, u.a. durch eine stärkere Besteuerung von Kapital sowie verstärkte Regulierung der Kapitalmärkte.
Was sind die konkreten Folgen von Ungleichheit? Fast täglich erleben wir über die Medien, wie Menschen aus armen Gegenden Nordafrikas versuchen, in die reichen europäischen Länder zu gelangen. Die gegen den Hunger in der Welt ankämpfende Organisation OXFAM hat erst kürzlich in ihrem Bericht die sich verschärfende Ungleichheit der Lebensbedingungen in Ost und West, in Nord und Süd konkret nachgewiesen[5]. Allein in der Zeit von 2009 bis 2014, als viele Länder unter Rezession, wachsender Arbeitslosigkeit, sozialen Kürzungen und fallenden Realeinkommen litten, hat sich die Zahl der Milliardäre verdoppelt. Auch OXFAM plädiert deshalb für höhere Besteuerungen aus Kapitaleinkommen und Regulierung der Kapitalmärkte, um weltweit individuelles Überleben, Leben und Wohlstand zu erreichen. Einige hier in diesem Kreis haben sicherlich wie ich die Bilder von den Zuständen in asiatischen Slums vor Augen[6]. Allein, wenn auf das Vermögen der Milliardäre 1,5 % Steuern erhoben würden, könnte man laut der OXFAM-Studie mit den jährlich eingenommenen 74 Milliarden Dollars jedem Kind in den ärmsten Ländern der Welt schulische Bildung und Gesundheitsfürsorge ermöglichen.
Brüderlichkeit ist bekanntlich der Zwillingsbruder der Gleichheit. Solidarität mit den Benachteiligten ist die Forderung nach Aufhebung von Ungleichheit.
Ein zu schwacher Trost sind da die philanthropischen Bemühungen, wie sie z. B. der ehemalige Microsoft-Gründer Bill Gates und der Spekulant Warren Buffet im Rahmen ihrer Initiative „The Giving Pledge“[7] und ihrer Stiftungen machen.
Was kann, was muss getan werden?
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler – ich denke in Deutschland auch an den einst in Wuppertal arbeitenden kritischen Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker[8] und an den Wirtschaftswissenschaftler Uwe Schneidewind[9] - und deren Wirken in der Öffentlichkeit ist ein mühsames und langsames Geschäft. Wer aber sollte Korrekturen an Fehlentwicklungen durchführen, wenn nicht die Politiker? Und die denken und handeln wiederum meist nur in vier- oder fünfjährigen (Wahl-)Perioden. Nicht selten sind sie fremden, kontraproduktiven Einflüssen erlegen. Als dritte Möglichkeit der Korrektur sehe ich die durch Protestbewegungen. Ähnlich wie die engagierte kanadisch-israelische Sozialistin Naomi Klein[10] sehe ich die Notwendigkeit, auch durch öffentlichen Druck die Politik zu bewegen. Vor allem von dem fatalen Glauben an das notwendige unbegrenzte Wachstum muss sich die Politik lösen. Dessen Folgen sehen wir in Gestalt schwindender natürlicher Ressourcen und dramatischer Klimaveränderungen. Und diese drohen fatal für die Menschheit zu werden. Dagegen, gegen neoliberale Wirtschaftspolitik, setzen alternative Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler spätestens seit den Aktivitäten des Club of Rome ihre Vorstellungen von Wachstumsrücknahme (DeGrowth). Das Ziel einer entsprechenden Umsteuerung durch eine auch solidarische Ökonomie heißt qualitatives (anstelle von quantitativem), selektives (besonders wertvolle Sektoren betreffendes) und nachhaltiges Wachstum, das im Rahmen demokratischer und solidarischer Strukturen erreicht werden soll.
Das bedeutet natürlich eine massive Kapitalismuskritik und reichlich Widerstände. Trotz des notwendigen öffentlichen Drucks auf die Politik: Meiner Meinung nach kann es keine revolutionären Lösungen geben, sondern angesichts der globalen Vernetzung der Volkswirtschaften nur gemeinsame evolutionäre Lösungen. Einseitige oder revolutionäre Lösungen würden das ganze, ohnehin labile System der Weltwirtschaft zu Lasten aller gefährden. Ein kleines Beispiel, wie schwierig so etwas in einem Land mit einer dominierenden Finanzwirtschaft ist: Ich habe vor zwei Jahren zufällig eine Sitzung des englischen Oberhauses erlebt, in der über die Regulierung der britischen Banken diskutiert wurde. Die Resultate allein für die Londoner City, Zentrum der britischen und weltweit agierenden Finanzwirtschaft, sind jedoch bisher dürftig gewesen. Steuerflucht gerade der Reichen und wieder anschwellende Kreditblasen machen staatliches Eingreifen aber notwendig. Deshalb kann auch das Problem der britischen Finanzwirtschaft nur im Rahmen von Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union gemeinsam gelöst werden.
Wie wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, gibt es durchaus Möglichkeiten, auf evolutionäre Weise politische, soziale und wirtschaftliche Verhältnisse zu verändern. Ich denke an die Bürgerbewegungen mit Petitionen und Volksentscheiden[11], auch an die sehr diskussionsbedürftige Pegida-Bewegung und natürlich an die alte Antiatomkraft-Bewegung, die zumindest im Unterbewusstsein der Deutschen geblieben ist und traurigerweise durch die Reaktorunfälle in Japan späte Erfolge gehabt hat und zur Energiewende beigetragen hat. Und ich denke an die großen technischen Fortschritte im Bereich der erneuerbaren Energien, die auch in Schwellenländern wie China und Indien z.T. bereits genutzt werden. Die Leugnung des Klimawandels wie jüngst im amerikanischen Kongress (im Zusammenhang mit einer Riesen-Pipeline) ist und bleibt hoffentlich nur ein welthistorisches Kuriosum.
Wie kann jetzt schon gehandelt werden?
Hier können wir auf bewährte solidarische Werkzeuge in der Wirtschaft zurückgreifen, insbesondere auf das Instrument der Genossenschaften. In den 1970er und 1980er Jahre gab es in Deutschland eine Gründungswelle im Bereich der alternativen Ökonomie, aber auch Rückschläge (Neue Heimat). Im Ausland, z.B. in Brasilien, entstanden die Kooperativen. Aber auch Kraftakte der Politik der jüngsten Zeit sind möglich. In Deutschland kann man gegenwärtig die Bemühungen verfolgen, wie auf regionaler und lokaler Ebene die von der Bundesregierung initiierte schwierige Energiewende umgesetzt werden kann. „Weg von der Atomenergie, hin zur emissionsfreien Energieerzeugung“ ist ein großer Kraftakt. Er hat eine Fülle von regionalen und lokalen Initiativen verstärkt freigesetzt, die sich auch ökonomisch rechnen. Dabei wird man sich allerdings auch zunehmend bewusst, welche ästhetischen und letztlich wirtschaftlich-sozialen Probleme man sich mit der Einführung erneuerbarer Energieerzeuger wie Windkraftwerke und Photovoltaikanlagen einhandeln kann, aber auch welch interessante Variationen es inzwischen gibt. Dazu lohnt auch mal ein Blick aus der sogenannten Froschperspektive. Große Dinge müssen nicht nur von Staaten und erst recht nicht von global operierenden Unternehmen oder einigen philanthropisch gesinnten Superreichen geschehen. An vielen Orten kann man bürgerschaftliches Engagement für den Umweltschutz entdecken.
Die vom Menschen gestaltete Kulturlandschaft wird kritisch betrachtet, wenn sie durch großflächige Solaranlagen und Windräderanlagen denaturiert wird. Kein Geringerer als Immanuel Kant hat schon von einem „Anspruch des Menschen auf eine Natur, die ihn ästhetisch anspricht“, von einem unmittelbaren Interesse am Naturschönen, das er als „Wohlgefallen a priori“ definiert gesprochen[12]. Deshalb verdienen Überlegungen, wie mit Hilfe eines Kulturlandschaftsplanes auf lokaler Ebene Energie ökonomisch, sozial und ästhetisch verträglich erzeugt werden kann, besondere Beachtung. Zur Definition des Kulturlandschaftsplans. Darunter versteht der Fachmann „eine informelle Planung, die darauf abzielt, für den ländlichen Raum eine wirtschaftlich tragfähige Basis für die Erhaltung, Pflege und Entwicklung der Kulturlandschaft zu schaffen. Diese Basis soll den ländlichen Raum durch ein dezentrales Energiekonzept autark, ökologisch sowie CO²-neutral machen und den Energiepreis langfristig stabil halten“[13]. Das Konzept eines Hallenser Landschafts- und Umweltplaners schlägt vor, mit Hilfe bereits vorhandener Technologie die außerhalb bestehender Wälder vorhandenen Hölzer in Energie umzuwandeln und für die lokale Nutzung über Kraft-Wärme-Koppelung bereit zu stellen. Die Organisation dieser Nutzung und dauerhaften Pflege der Allmende-Ressourcen (Flurhölzer) sowie der Betrieb der technischen Einrichtungen sollen von der Dorfgemeinschaft erfolgen. Der wiederbelebte Gedanke der im Mittelalter wohlbekannten Allmende, d.h. der Gemeingüter (Commons)[14], hat neben dem ökonomischen Effekt auch eine starke soziale Bindungskraft. Dieser Wissenschaftler hat auf die positiven ökologischen Wirkungen hingewiesen, die mit der Nutzung und dauerhaften Pflege von Gehölzen in der Kulturlandschaft auf diese Weise verbunden sind: u.a. Schutz des Dorfes vor Unwetter-Kollateralschäden, Schutz gegen Bodenerosion, Habitat für wildlebende Tiere und wildwachsende Pflanzen. Wie wir von dem starken Anstieg der Energiegenossenschaften in Deutschland – von 66 im Jahre 2001 auf gegenwärtig rund 1.000 - wissen, ist diese Form der Energiegewinnung und –nutzung eine wirtschaftlich und soziale Alternative zu privatwirtschaftlichen und staatlichen Energieunternehmen geworden.
Die Quintessenz all dieser Gedanken: Global denken und lokal handeln, und dies nicht gegeneinander sondern miteinander.
Ein wenig Poesie
Die Nachrichten über Erdbeben, Konflikte, Spionage unter Freunden und andere große und kleine Probleme lassen uns oft vergessen, dass es die Kunst, die Musik und die Literatur noch gibt, die uns erheben kann. Hier ein kleines Beispiel dafür von Ruth Stumme (1917-2006).
Nach dem Sturme
Als ich vom Schlaf erwachte,
war der Sturm verrauscht.
Und aus des Himmels
regenschwerem Grau
schien mir die Sonne,
und ein kleines Blau
erhellt’ den Tag. –
Es ließ ihn wachsen
bis zum Firmament,
an dem nun
deines Herzens Wärme brennt
Eine griechische Tragödie, der Chor der internationalen Medien und deutsche Empfindlichkeiten
Wir haben die griechische Tragödie[1], in Brüssel aufgeführt, sehr intensiv und extensiv durch die Medien miterlebt, auch den Zorn einiger Staaten, besonders Griechenlands, auf Deutschland. Bei dem europäischen Versuch, Griechenland vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu retten, scheint es so auszusehen wie im Privaten: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Fest steht: Wie so häufig müssen auch in Hellas in erster Linie die kleinen Leute leiden, während die Wohlhabenden rechtzeitig ihr Geld in Sicherheit bringen konnten. Wie also können in den nächsten Wochen und Monaten der Kollaps und die politischen und sozialen Folgen verhindert werden?
Die Höhe der angelaufenen griechischen Schulden ist einfach zu hoch, als sie von diesem Land allein geschultert werden könnten. Viele Fehler sind von allen Seiten in den letzten Jahren gemacht worden, von den Gläubigern und dem Schuldner Griechenland. Angesichts des aufgezwungenen Sparkurses erheben sich berechtigte Fragen: Wie soll die griechische Wirtschaft jemals wieder wachsen können, wenn der Kapitalverkehr stark eingeschränkt ist, die griechischen Banken nicht voll funktionieren können, der Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen dort nicht möglich ist. Durch Anhebung der Mehrwertsteuer verteuern sich in der Regel die Preise. Gleichzeitig muss der Staat sparen (insbesondere durch Entlassungen, Reduktion der Renten, Kürzungen der Verteidigungsausgaben). Wie will man die weitere Drosselung der Binnennachfrage vermeiden – neben dem Rückgang beispielsweise der so wichtigen Einnahmen durch den Tourismus? Wie will man die Steuerehrlichkeit der Griechen fördern, wenn man dort – ohne effiziente Finanzverwaltung – die großen potentiellen Steuerzahler verschont? Will man wirklich die junge, intelligente Generation Griechenlands, die in Folge jahrelanger politischer Versäumnisse in die Arbeitslosigkeit getrieben wurde, in die nördlichen Euroländer vertreiben, wo sie gern aufgenommen würden? Fragen über Fragen, die immer wieder zu der Forderung nach einem Schuldenschnitt führen. Auch wenn sich bisher die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat: Ohne einen Schuldenschnitt (Englisch: „haircut“), d.h. ohne den Verzicht der öffentlichen und privaten Gläubiger gegenüber Griechenland, bei gleichzeitiger, kontrollierter Durchsetzung von Reformen in Griechenland ist die (Er)Lösung von der griechischen Tragödie nicht möglich. Als stärkste Wirtschaftsmacht in der Eurozone ist hier Deutschland, das bisher den europäischen Gedanken besonders unterstützt hat, auch besonders gefordert.
Schade und unfair war es, dass nicht alle Fakten in den vergangenen Wochen genannt wurden. Insbesondere die deutsche Seite hat Einiges schlecht kommuniziert, z.B. dass Wolfgang Schäuble, ein Schwabe und deutscher Finanzminister, häufig als böser Bube (oder noch schlimmer) betitelt, erst vor wenigen Jahren mit Mühe die sogenannte Schuldenbremse durchgesetzt hat. Sie bedeutet, dass es in Deutschland dem Bund und den einzelnen Ländern gesetzlich verboten ist, in „normalen Zeiten“ Schulden zu machen. In Deutschland hat es Schäuble auch erreicht, dass 2015 erstmals keine neuen Schulden im Staatshaushalt des Bundes („Schwarze Null“) gemacht wurden. Er mag sich vielleicht sogar noch vage an seinen Vorgänger, den Bundesfinanzminister Fritz Schäffer erinnern, der in den 1950er Jahren einen “Julius-Turm“[2], die thesaurierten Überschüsse des Bundeshaushaltes“ (8 Milliarden D-Mark = ca. 35 Milliarden Euro heute), zusammensparte.- Ein noch Wichtigeres kommt hinzu: Die fortdauernde Sorge im Langzeitgedächtnis der Deutschen, dass es wieder eine Inflation – wie in den 1920er Jahren - geben könnte. Die Regierung Helmut Kohl hatte sich aus politischen Gründen (um die europäische Einigung voranzutreiben) von der D-Mark getrennt und die gemeinsame europäische Währung, den Euro, zusammen mit anderen Ländern im Jahre 2002 eingeführt. Bis heute trauern viele Deutsche der damaligen, stabilen D-Mark nach. Das sind wichtige (Hinter)Gründe, warum Schäuble und Merkel so hart mit den Griechen verhandelten. Viele Regierungen, auch die konservative britische, sind gegenwärtig mit der Konsolidierung ihrer Haushalte beschäftigt. Die hohe Kunst besteht darin, die Schulden abzubauen und die Wirtschaft zu fördern, ohne dabei politische und soziale Verwerfungen zu produzieren.
Fast völlig ausgeblendet wurde in der bisherigen deutschen Diskussion, dass Westdeutschland nach 1945 umfangreiche Hilfe insbesondere von den USA erhielt und wie die alte, reiche Bundesrepublik der maroden Wirtschaft der neuen, aber armen Bundesländer ab 1990 ganz massive finanzielle und personelle Hilfe gewährte. Erst auf diese Weise konnten in den vergangenen 25 Jahren zwar keine „blühenden Landschaften“, aber eine weitgehende Gesundung der ostdeutschen Wirtschaft mit moderner materieller und institutioneller Infrastruktur erreicht werden. Insofern sollten bei den künftigen Verhandlungen mit der griechischen Regierung auch die deutschen Erfahrungen mit einer Transfer-Union im europäischen Rahmen eingebracht werden. Es geht auch, aber eben nicht nur um den Euro.
Angesichts so vieler Probleme, die in Europa zu lösen sind – Süd-Nord-Migration, eigene demographische Entwicklung, Umweltprobleme, Ukraine-Konflikt - , muss sich Europa auf den alten Erfahrungssatz besinnen: Nur Einigkeit macht stark. Es geht um das gemeinsame, auch von Griechenland mit erbaute europäische Haus.
Weihnachtsoratorium oder Messias?
Am Ende eines von menschlicher Gewalt und Verzweiflung, aber auch Hoffnung und Liebe geprägten Jahres bin ich wieder zu den großen Meistern deutscher Musik zurückgekehrt. Sowohl Johann Sebastian Bach als auch Georg Friedrich Händel haben mit ihrer geistlichen Musik auch Nichtgläubigen große Geschenke gemacht.
Während in Deutschland das „Weihnachtsoratorium“ von Bach - am eindrücklichsten gehört vom Thomanerchor in der Leipziger Thomaskirche – das im Dezember am meisten gespielte Stück ist, freut man sich in Großbritannien auf den „Messias“ von Georg Friedrich Händel. Händels Oratorium wurde 1742 in Dublin uraufgeführt. Beide Komponisten, die im gleichen Jahr 1685 geboren wurden, sind sich leider angeblich nur fast begegnet.
Während Bach im mitteldeutschen Raum (insbesondere in Eisenach, Köthen und Leipzig, wo er 1750 starb) wirkte, war der mit Georg Philipp Telemann befreundete Händel ein Mann von Welt. Er stammte aus Halle an der Saale, bereiste Italien und wies Hamburg, Berlin, Dublin und vor allem London, wo er 1759 starb, als Stationen seines Wirkens auf. Im Gegensatz zu Bach war Händel auch ein recht wohlhabender Komponist.
Hier eine Kostprobe des „Messias“ im King’s College, Cambridge:
https://www.youtube.com/watch?v=AZTZRtRFkvk
Mozart und Beethoven, vor allem aber Felix Mendelssohn Bartholdy waren es, die die innovative Musik Bachs nach einer Zeit des Vergessens wieder ins Bewusstsein gehoben haben.
Möge bei all dem menschlichen Elend, das gegenwärtig die vielen Flüchtlinge in Europa erleben müssen, Bachs Weihnachtsoratorium musikalisch Mut machen zur Solidarität. Die Aufnahme mit dem Leipziger Thomanerchor, die etwas älter ist, wurde jedoch nicht in der Thomaskirche aufgenommen (bitte anklicken):
https://www.youtube.com/watch?v=s_liarGxf4s
Das Innere der gotischen Thomaskirche in Leipzig, in der auch J.S. Bach begraben ist:
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomaskirche_(Leipzig)#/media/File:Leipzig-ChurchStThomas-Interior.jpg
Ein schönes Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2016
Berliner Glanz und Elend der Kunst
Berlin befand sich in den letzten 14 Tagen im Taumel der 66. Internationalen Filmfestspiele. Zugleich warf die Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“, in der 100 Werke aus der jüdischen Gedenkstätte Yad Vashem im Deutschen Historischen Museum zu sehen sind, ihre langen Schatten. Damit zeigte sich erneut sehr deutlich, wie sich diese europäische Hauptstadt einerseits ihrer Vergangenheit stellt und andererseits dem Glanz der Gegenwart Raum und Zeit gewährt.
Ich habe beide Ereignisse intensiv wahrgenommen und mich auch über den Star George Clooney gefreut, der als politisierter Sympathieträger die in Bedrängnis geratene Bundeskanzlerin in der Flüchtlingsfrage unterstützte. Das Filmfestival zeigte, wie viele starke Frauen unterschiedlichen Alters es zur Zeit in dieser Kunstbranche gibt. Nur ein paar Namen: Die Jury-Vorsitzende Meryl Streep hatten sowohl die deutschen Medien als auch die Berliner schnell in ihre Herzen geschlossen. Die Dänin Trine Dyrholm (s. u. mit Meryl Streep) wurde als beste Hauptdarstellerin in „Kollektivet“, Thomas Vinterbergs Film über eine komisch-tragische Wohngemeinschaft der 1970er Jahre, ausgezeichnet. Die französische Regisseurin Mia Hansen-Love, die für „L’Avenir“ mit Isabelle Huppert einen Preis gewann, ist ebenso zu nennen wie Anne Zohra Berracheds Film „24 Wochen“, der mit Julia Jentsch in der Hauptrolle das heikle Thema Spätabtreibung behandelte.
Der Goldene Bär ging 2016 an den italienischen Film „Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi, der als Dokumentarfilm das Flüchtlingsdrama bei Lampedusa zeigte. Den Großen Preis der Jury erhielt Danis Tanovic für den bosnischen Film „Death in Sarajevo“, ein spannender und nachdenklich machender Streifen über diese von der Geschichte gezeichnete Stadt und ihre Bewohner.
Die Cineasten kamen in Berlin sowohl bei den Filmen im Wettbewerb als auch bei denen im Panorama- und Retrospektive-Programm auf ihre Kosten. Dafür sorgte – neben den zivilen Eintrittspreisen - auch eine Vielzahl von Spielstätten im Zentrum Berlins, wozu als größtes Kino mit 1.900 Plätzen der Friedrichstadt-Palast gehörte.
Und außerhalb der Hauptstadt, als reizvolles Theater im Kiez, präsentierten sich mit 300 denkmalgeschützten Sesseln die Neuen Kammerspiele in Kleinmachnow bei Berlin, die von einer Genossenschaft (!) betrieben werden. Man beachte die unterschiedlich langen roten Teppiche…
Nicht minder spannend waren die cineastischen Rückblicke, die zugleich deutsche Zeitgeschichte vermittelten. Dabei zeigten sich zum einen das Jahr 1965/66 und zum anderen die Vergleiche zwischen den Filmproduktionen in Ost- und Westdeutschland als besonders aufregende Aspekte. Hier der in die Vergangenheit gerichtete Film von Volker Schlöndorff „Der junge Törless“ (nach dem Roman von Robert Musil) und dort der unter der – damaligen - Gegenwart leidende DEFA-Streifen „Karla“ von Hermann Zschoche (1966). Den Letzteren gab es sowohl in der zensierten als auch in der nachbearbeiteten Fassung von 1990 zu sehen. Die Hauptdarstellerin Jutta Hoffmann war schlicht bezaubernd.
Zurück zur Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“, in der die Bilder und Gedichte aus einer zumeist deutsch-jüdischen Kultur noch bis zum 03.April gezeigt werden. Unter den zahlreichen ermordeten Künstlern, deren Werke gerettet werden konnten, befand sich auch Selma Meerbaum-Eisinger (geboren 1924 in Cernowitz, gestorben 1942 in einem Arbeitslager am Bug). Aus dem Gedicht „Lied“ der Sammlung „Blütenlese“ (erschienen in Stuttgart bei Reclam 2013) stammt diese letzte Strophe von 1941:
„Nimm hin mein Lied.
Vielleicht bringt es
Das Lachen einst zurück.
Und wer es liest,
Der sagt: Ich seh’s,
Und meint damit das Glück.“
EU – EURO – BREXIT und andere äußere und innere Verrenkungen
Heute, am 15.April 2016, hat in Großbritannien die Kampagne um den sogenannten BREXIT begonnen. In dem Referendum am 23. Juni entscheiden die Briten, ob das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben soll oder nicht. Gegenwärtig liegen die Chancen dafür bei etwa 50 : 50 - bei leichten Vorteilen für die Brexit-Befürworter, also für einen Austritt.
Die Wogen in der Öffentlichkeit gehen hoch (vgl. z.B. den Stimmungsbericht von J. F. Jungclausen in ZEIT-ONLINE vom 15.04.2016: http://www.zeit.de/2016/15/brexit-eu-grossbritannien-wales-referendum-landwirtschaft-schafzucht). Die konservative Presse (voran „THE DAILY TELEGRAPH“) unterstützt den Oberbürgermeister von London, Boris Johnson, der sich – zusammen mit vier Mitgliedern der konservativen Regierung – an die Spitze der EU-Kritiker gesetzt hat. Insulare Selbständigkeitswünsche (möglicherweise auch Erinnerungen an das Empire), Ängste vor zu vielen Einwanderern und scheinbar pfiffige Gewinn- und Verlustrechnungen werden dabei vermengt mit der Abneigung gegen „Fremdbestimmung“ aller Art, die aus der Brüsseler Bürokratie und von der Straßburger Gerichtsbarkeit kommen. So vermengt Johnson im offenen Duell mit dem „befreundeten“ David Cameron in seiner geschickten Polemik die Forderung nach dem Austritt mit der Forderung, den jährlichen EU-Beitrag Großbritanniens einzusparen. Er schlägt im heutigen Daily Telegraph vor, diesen Betrag von 13 Milliarden Pfund für die Finanzierungslücken des britischen Gesundheitssystems „National Health Service“ (NHS) zu verwenden. Ihm kommt zugute, dass „rein zufällig“ ebenfalls heute wieder neue Hiobsbotschaften über den NHS laut geworden sind (stark gestiegene Defizite, unzumutbare Wartezeiten der Patienten auch in Notfällen). Darüber berichtete auch die liberale und linke Presse (voran „THE GUARDIAN“) immer wieder, die für einen Verbleib Großbritanniens in der EU eintritt. Diese Medien hatten Mühe, den unbequemen Führer der Labour Party, Jeremy Corbyn, dafür zu gewinnen, sich für den Verbleib einzusetzen. Mit Ausnahme von vier Ministern plädiert die britische Regierung unter dem anfangs wankelmütigen David Cameron ebenfalls für den Verbleib in der EU. Maßgebliche Kreise der Wirtschaft und auch die Bank of England warnen seit Monaten vor den ökonomischen Folgen eines Austritts, die durch die Unsicherheit über den Ausgang des Referendums schon jetzt sichtbar wären. So ergibt sich eine merkwürdig schwache und zugleich „unheilige“ Allianz aus Wirtschaft (besonders Finanzwirtschaft), uneinheitlicher Regierung und Opposition, die sich primär aus ökonomischen Gründen gegen den Brexit ausspricht.
Was den Beobachter vom Kontinent, der gegenwärtig von schwächelnden Volkswirtschaften (außer Deutschland) sowie von EURO-, Griechenland- und Flüchtlingsproblemen reichlich geplagt ist, besonders irritiert, sind zwei Aspekte: Erstens, dass in der britischen Diskussion die geopolitischen Gefahren Europas (Ukraine-Konflikt mit Russland, IS-Terror) ebenso aus den Augen verloren wurden wie die regionalpolitischen Konflikte (Separationswünsche Schottlands, Katalonien). Zweitens, dass in den britischen Medien fast ausschließlich die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte des Brexits, nicht aber die Fragen einer europäischen Identität nach Jahrhunderten der Kriege und Feindschaften diskutiert werden. Da erfreut es den Beobachter besonders, wenn er auf einzelne Stimmen stößt, die genau auf diesen Punkt hinweisen. Dazu gehört der ehemalige Banker und Handelsminister der liberal-konservativen Regierung Stephen Green. Er hat jüngst (The European Identity. Historical and cultural realities we cannot deny. London 2015) die Besinnung auf die gemeinsame, oft traurige europäische Geschichte eingefordert, in deren Verlauf dem europäischen Haus so viele kulturelle Glanzlichter (Philosophen, Komponisten, Künstler, Wissenschaftler) aufgesetzt wurden. Letztlich folgt daraus die Forderung: Einigkeit macht stark. Um im Bild zu bleiben: Wenn beide Teile des europäischen Hauses, der kontinentale wie der insulare Teil, gegenwärtig von mehreren Stürmen bedroht sind, kann man nicht einfach ausziehen. Also gilt es, weiterzuarbeiten an diesem Generationenwerk und die vorhandenen Baustellen (einheitliche Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik, Bürokratieabbau) schnellstmöglich zu reparieren.
BREXIT ? The EU Referendum viewed from Ireland and Germany
An urgent letter:
Dear British Friend and Colleague,
thank you so much for your thoughtful and full email about the EU Referendum. I have read it several times. It goes without saying that the me-me-me money-money-money level on which the debate is being conducted in the UK is absolutely appalling. Like you I have a vision of Europe which is about a shared intellectual history and set of values, a shared visual culture going back to Greece, a shared musical and cultural world and a vision of peace and co-operation. My view is influenced by the Germans - the Germans do remember what war was like and many Germans do have a vision of this shared culture. My view is also an Irish one. What the EU has done to help Ireland open up and become more tolerant and remember th deep European heritage it had for centuries before the ghastly obscurantism after Irish independence is for me a great good.
If Britain leaves, then Britain can change nothing about the EU. It will in my view be an unmitigated disaster. The EU does need to change in many ways but Britain absolutely must stay in and help. It will be bad for the EU if Britain leaves, as Britain is needed to keep the balance between France and Germany and to promote democratic values, at a time when some of the former Eastern bloc countries are moving so far to the right. It will be bad for Britain, as it will become an inward-looking little poodle of the US, worrying about cricket and the queen. And the UK will break up, as Scotland will vote to stay in the EU. I remember how insular Britain was when I first came there forty years ago and how self-satisfied it was, and I can hardly believe how much it has changed for the better. And, while the Republic of Ireland will be rubbing its hands at the thought of all those firms which will relocate to Ireland, what about the inner-Irish border? What on earth will Ireland be going back to if such a border is recreated?
You complain about how the EU has treated Greece. Yes, it has had a hard time. So did Ireland, but they used the opportunity to reform some things and many people in Ireland were glad to have their own fat cats rapped over the knuckles and a troika coming in and sorting things. Greece needs to have its debt remitted, certainly, or it will never come out of recession, but perhaps some of its fat cats have been made to pay some taxes and register their property by now. You also talk about how disgusting it is that Germany is cosying up to the appalling Erdogan. Well, had the UK taken 200,000 asylums seekers as Sweden has done, perhaps that would not be so necessary! (And not just the UK, of course). Yes, I know the UK is giving lots of money to keep people in camps in Turkey, but that's not a future for those unfortunates. Everyone whom I know in Germany is helping to integrate asylum seekers. Why? Because that is how decent Europeans do things and because Germans have a memory of fleeing themselves and being looked down on as refugees and having to start all over again.
You yourself mentioned how important EU rules about workers' rights, the environment, etc, are. I agree. Speaking as someone who works in a British University, leaving the EU would be a disaster. You can forget about research in the Humanities, for starters, as the UK virtually does not fund it, but lots of other important research programmes will not be funded either. The European Research Council and other smaller EU funding bodies are life-lines for British research.
I cannot bear the thought that the UK will go back to where it was 40 years ago. I cannot bear it to refashion itself in the image of Gove and Johnson. Or God help us, Trump.
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17.Juni 1953 - 17. Juni 2016
Wie die Zeiten sich ändern: Bis 1990 wurde in Westdeutschland regel- und mäßig an den Arbeiteraufstand in Ostdeutschland erinnert. Als 13-Jähriger bin ich an diesem Tag zur Sektorengrenze in Berlin-Wedding geeilt und erlebte, wie Verletzte vom Potsdamer Platz in den Westsektor gebracht wurden und später sowjetische Panzer auffuhren und noch einige Tage später mehrere Erschossene feierlich beigesetzt wurden. Beide Teile Deutschlands sind inzwischen 16 Jahre lang wiedervereint und das in einem ebenso vereinten Europa. Ich hoffe, dass dieses Europa jetzt nicht zerbricht ...
2017 - ein Jahr wachsender Unsicherheiten?
Konflikte - Flüchtlinge - Trump
Natürlich sieht in dieser dunklen Jahreszeit Vieles düster aus. Was für ein Wunder auch angesichts der anhaltenden Konflikte in der Welt, die mehrere Flüchtlingswellen ausgelöst haben, angesichts der Ungewissheit, wie der neue amerikanische Präsident Donald Trump seine Außen- und Innenpolitik gestalten wird, und wie der Ausstieg Großbritanniens (BREXIT) auf dieses Land und auf die Europäische Union zurückwirken wird. Und – wie so oft – hängt all dies eng miteinander zusammen.
Die Lösungen von inneren und äußeren Konflikten hängen stark von dem guten oder schlechten Willen der aktiven Staatsmänner ab. Das schlechte persönliche Verhältnis des amerikanischen Präsidenten Barack Obama zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem Exponenten der neuen russischen Großmachtpolitik, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich Putin von Obama nicht als Gleichberechtigter behandelt fühlte. Dies (und die davor liegende, unsägliche Politik der EU gegenüber der Ukraine) hat eine Lösung des Ukraine-Konflikts verhindert, den syrischen Bürgerkrieg als (weiteren) Stellvertreterkrieg verschärft und den Cyber-Krieg zwischen Russland und den USA ausgelöst. Hier könnte der neue amerikanische Präsident, der sich prorussisch gibt, eine Hoffnung bieten – wenn er denn außenpolitische Erfahrung oder zumindest diplomatisches Geschick entwickeln würde. Beides hat er bisher nicht. Seine bisherigen Vorstöße gegenüber China beweisen eher das Gegenteil. Trumps Verhalten im Wahlkampf und seitdem wirkten in der Innenpolitik polarisierend. Obama hat wenigstens versucht, friedensstiftend im Inneren zu wirken. Die Waffenlobby hat sogar indirekt geholfen, die Rassenunruhen zu verschärfen. Die Zusammensetzung der neuen amerikanischen Regierung mit sehr konservativen und häufig in der Verwaltung unerfahrenen Männern (und wenigen Frauen) erscheint eher wie das Ergebnis einer Revolution von Oben. Wie Trump und seine Regierungsmitglieder bewusst Experten und deren Wissen, z.B. durch die Leugnung des Klimawandels, in die Ecke stellte, ist allarmierend. Wie sich seine protektionistische Wirtschaftspolitik auf das Verhältnis zu Europa auswirken wird, ist eine weitere offene Frage.
BREXIT und die Folgen
Damit eng verbunden ist die nach dem BREXIT, der erheblich das innere und äußere Gleichgewicht der sonst so coolen Briten durcheinandergebracht hat. Täglich gibt es Neuigkeiten aus den tangierten Wirtschafts- und Juristenkreisen, welche finanziellen und rechtlichen Auswirkungen der BREXIT haben wird. Trotz aller offen und insgeheim geäußerten Hoffnungen auf Vermeidung der Trennung, die auf beiden Seiten des Ärmelkanals geäußert wurden: Die Trennung Großbritanniens von der EU ab März 2017 ist sicher und nicht mehr aufzuhalten – auch wenn die Regierung noch intern gespalten ist, ob und wie ein „harter“ oder „weicher“ BREXIT ausgehandelt werden soll. Die Behandlung der Frage der Ausländer, die in dem Vereinigten Königreich leben und arbeiten, ist längst nicht mehr nur eine Verhandlungssache sondern bereits zu eine Frage des inneren Zusammenhalts geworden. Viele Polen hier können ein Lied davon singen. Und – last but not least - der letzte Blog-Eintrag hatte als besondere Pikanterie auf die irische Frage hingewiesen. Diese wurde seit dem von Tony Blair ausgehandelten Kompromiss als gelöst betrachtet; sie könnte vor dem Hintergrund des BREXITS wieder aufbrechen.
Was wird aus der Europäischen Union?
Die Situation der Europäischen Union ist zudem alles andere als komfortabel: Dank guter Exportzahlen der deutschen Wirtschaft läuft auch die europäische – trotz aller Image- und Glaubwürdigkeitsverluste von Volkwagen und DEUTSCHER BANK, trotz aller andauernden Demokratiedefizite (und gleichzeitigen Bürokratie-„Überschüsse“) der Brüsseler Zentrale. Für die Bearbeitung der beiden letztgenannten Probleme hätten die Kontinentaleuropäer gern die Briten dabei behalten. Nun aber drohen im Hintergrund gefährliche populistische Strömungen, wie wir sie in Frankreich, den Niederlanden und sogar in Deutschland finden. Noch scheinen diese Kräfte, die in sich starke antieuropäische Tendenzen aufweisen, gebändigt. Was wird passieren, wenn sich die wirtschaftliche Situation innerhalb der EU verschlechtert? Welche Institutionen, Europäische Kommission, NATO, oder Gruppen können dann noch für den friedensstiftenden Zusammenhalt der europäischen Gemeinschaft sorgen?
Die europäische Ordnung droht zu zerfallen; Trump regiert, und die Satiriker freuen sich
Seit dem letzten Blogeintrag hat sich Einiges verändert: Bei dem Referendum am 23.06.2016 hatten sich 52 % der Briten für den Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt. Folgerichtig wird die neue Premierministerin Theresa May am 29. März 2017 in Brüssel der EU-Kommission dies offiziell mitteilen und die Verhandlungen dafür eröffnen.
In den Monaten dazwischen gab es auf beiden Seiten des Ärmelkanals heftige Diskussionen über die jeweiligen Vor- und Nachteile. ZEIT-Online fasste die Probleme jüngst kurz zusammen: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/brexit-artikel-50-europaeischer-vertrag-theresa-may-antrag/komplettansicht
Nicht nur Schottland, Nordirland, die britischen Großstädte wie z. B. London stimmten gegen den Brexit. Auch Wirtschaftsverbände, die City of London und die Hochschulen warnten vor den Folgen.
Hinzu kommt der schwelende Konflikt innerhalb der britischen Union mit Schottland und Nordirland. Die Premierministerin von Schottland möchte noch vor Abschluss der Verhandlungen mit der EU ein zweites Referendum in der Erwartung, dass ihre Landsleute für den Verbleib in der EU und damit für das Verlassen des Vereinigten Königreiches plädieren werden. In Nordirland beginnt gegenwärtig eine ähnliche Diskussion, allerdings mit dem Ziel, sich mit der Republik Irland endlich vereinigen zu können.
Das stärkt nicht gerade die Verhandlungsposition der britischen Premierministerin in Brüssel.
Die EU selbst ist auch nicht von Einigkeit geprägt: Rechtspopulistische, konservative Regierungen in Ungarn und Polen machen Brüssel das Leben ebenso schwer wie die Türkei, die einmal als Beitrittskandidat betrachtet wurde, unter Präsident Erdogan aber ein autoritäres Regime etablieren will. Da die EU weitere Flüchtlingswellen aus Nah- und Mittelost verhindern will, ist sie von dem Wohlwollen der Türkei abhängig. Die starken rechten Kräfte in Frankreich, die mit der europafeindlichen Marine Le Pen sogar den nächsten Präsidenten stellen könnten, drohen die EU ernsthaft zu sprengen.
Obendrein droht Gefahr für die EU auch von den USA, wo der neue populistische Präsident Donald Trump zum Schrecken nicht nur der amerikanischen Intellektuellen dabei ist, das Gleichgewicht der Kräfte (Jurisdiktion, Legislative, Exekutive) mit einsamen Twitter-Botschaften durcheinander zu bringen und soziale Errungenschaft wie Obamas Medicare wieder rückgängig zu machen. Seine Absicht, mit dem Slogan „America first“ das empfindliche Netz der internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch protektionistische Maßnahmen zu zerstören, würde nicht ohne politische Folgen für alle, vor allem die EU und China, sein. Es sollte nicht wundern, wenn sich dieser Präsident eben wegen seines Kampfes gegen das Establishment in relativ kurzer Zeit selbst aus dem Amt katapultieren würde.
Immerhin hat die gegenwärtig labile Lage auch ihre positiven Seiten. Nicht zuletzt für die Kabarettisten weltweit. Sie bekommen in und durch Trump, der wie ein Laienschauspieler in einer Realsatire wirkt, laufend neuen Stoff für Theatersatire.
Eine immer kleinere, große Welt
Die Sommerpause geht zu Ende, die Geschwindigkeit auf dieser Erde nimmt wieder zu. Deshalb ein innehaltender Rückblick: Wir haben einen sogenannten mächtigsten Mann der Welt, den amerikanischen Wirrkopf als Präsidenten, der das Establishment seines Landes stürzen wollte und inzwischen von einem General mühsam zur Ordnung gerufen wurde. Wir haben eine britische Regierung, deren Premierministerin aus demokratischer Gesinnung (dem Brexit-Referendum des Vorjahres gehorchend) ihr Land von ein paar ultrakonservativen nordirischen Abgeordneten abhängig gemacht hat und nun zwischen Pragmatikern, darunter ihrem eigenen Finanzminister, und Brexit-Anhängern ihrer Partei, ihrem wirren Außenminister, hin und her pendelt. Dann gibt es den Charmeur unter den Europa-Freunden, den neuen dynamischen Präsidenten Frankreichs, der als Hoffnungsträger aller reformwilligen Europäer (und Franzosen) auftritt. Und dann haben wir noch zwei müde deutsche Wahlkämpfer, die in ihrer Einfallslosigkeit und Sattheit den deutschen Michel gut widerspiegeln. Und nur so „nebenbei“: Die Flüchtlingsströme und deren Ursachen sind immer noch nicht beendet, die Spreizungen zwischen Arm und Reich nehmen weiter zu. Ein atomarer Konfliktherd in Asien besteht nach wie vor. Eine Vorstellung, wie man den Verführungen junger Menschen zum islamistisch geprägten Terrorismus begegnen kann, gibt es auf westlich-christlicher Seite auch noch nicht. Von den sichtbaren Folgen der menschengemachten Klimaveränderungen, die der leugnende amerikanische Präsident sich jüngst selbst ansehen musste, ganz zu schweigen. Bei all diesen Problemen darf man eigentlich nur zweifelnder Optimist sein und muss man sich auf die Seite der kritischen Denker und Lenker schlagen…
Als Deutscher, der die Welt (wie im Frühjahr Süd- und Mittelamerika) bereist und von der Insel aus beobachtet, war ich zunächst sehr enttäuscht von dem Ausgang des britischen Referendums. Wo war der sprichwörtliche britische Common Sense geblieben? Hatte sich Traditionsbewusstsein mit unterschiedlichsten ökonomischen Egoismen tatsächlich mit einer Inselmentalität verbunden – gegen Weltoffenheit und Einsicht, dass nur Einigkeit in einer immer diffuser werdenden Welt stark macht? Tausend und mehr Fragen werden seit dem Entscheid einer knappen Mehrheit – gegen die Jungen und die Klugen, die die Minderheit bildeten und die Folgen zu (er)tragen haben werden – in der Öffentlichkeit diskutiert.
Darüber möchte ich nicht persönliche Verluste vergessen: Dazu zählt der Tod meines väterlichen Freundes Theodor Bergmann, der im 101. Lebensjahr sein Leben als weltoffener Sozialist, jüdischer Deutscher und Zeitzeuge in Stuttgart beendete; vgl. die Würdigungen: https://www.rosalux.de/news/id/37448/ohne-widerspruch-kein-fortschritt/
Einen Gewinn dagegen bedeutete die Lektüre der Autobiographie des immer unbequemen Dichter-Sängers Wolf Biermann, „Warte nicht auf bessre Zeiten“. Sie stellt eine wahrlich aufregende Zeitreise durch die jüngste deutsche Geschichte dar – zwischen Ost und West. Sie ist sowohl Ausdruck egozentrischer Details der Kultur in Deutschland als auch Denkmal kritischer Freundschaften, wie sie sich vor und nach Biermanns Ausbürgerung von 1976 entwickelten, die sowohl den Lebensnerv dieses Heine-Nachfolgers als auch letztlich den der bieder-verstockten DDR-Oberen traf. Zusammen mit den abgedruckten Gedichten zeigt Biermanns Lebensgeschichte den deutschen Fluss der Geschichte mit seinen oft schmutzigen Mäandern, aber dies nicht ohne Witz und Selbstironie. Seine Begegnung mit der französischen Kultur war dabei hilfreich. Nachdem ich nun die Welt erklärt habe, kommt zum Abschluss ein Lob an alle Lernbegierigen und Aufklärenden, insbesondere an die Bibliothekare und Bibliothekarinnen der Universitätsbibliothek Leipzig: Gratulation zu der Auszeichnung als „Bibliothek des Jahres 2017“! Zwölf Jahre sind es her, seitdem ich diesen sächsischen Wissensspeicher verlassen habe – am Anfang der IT-Revolution. Schauen Sie selbst, wie sich die UBL zu dieser international wirkenden Leipziger Institution weiterentwickelt hat: “Digital autonom, frei zugänglich und innovationsstark!“
Old traditions and new life: Universities and colleges in Europe
Next to the Italian universities in Salerno (medicine since the 9th century) and Bologna (1088) it was Paris (1200) which may be called one of the oldest universities on the continent. Not much later however Salamanca (1134) in Spain.
Salamanca University building 2014
Oxford and later Cambridge (1209) in England followed. In Germany it was Heidelberg (1386) and, after leaving Prague (1348), the masters and students founded Leipzig University in 1409.
Oxford University is still very special because there is no date of foundation but there was teaching since the end of the 11th century. In 1167 King Henry II banned those English students who attended Paris University. The colleges were founded to house, feed and teach students. The oldest colleges, University College, Balliol and Merton, were founded between 1249 and 1264. Today there are 38 colleges and 6 permanent private [Christian] halls. In total ca 22.000 undergraduates and graduates students are studying at Oxford University. Oxford Brookes, the former Oxford School of Art, founded in 1865, has another 17.000 students. So there are nearly 40.000 young people in an old city of 160.000 inhabitants.
I was happy to attend two founder’s days within five years: In 2009 Leipzig University, of which I ran the library for a while, celebrated its 600th birthday. This year, 2014, Exeter College Oxford, forming the academic home of my wife, celebrated its 700thbirthday. What a wonderful day when the procession, led by the chancellor of the University, Lord Patten, and Exeter College Rector Frances Cairncross, entered the Sheldonian Theatre to celebrate Founder’s Day on Friday 4 April 2014. Trumpet fanfare and organ music introduced the ceremony which ended with everyone singing “Jerusalem”, the informal British national anthem which was written by Hubert Parry, a member of the College.
Exeter College Founder’s Day Procession 2014
Exeter College Quad [Inner Court] 2011
Irrungen und Wirrungen - von der Insel zum Festland und zurück
Die Reise von Oxford über Berlin und Leipzig zurück nach London und Oxford war in diesem Herbst eine politisch und kulturell besonders an- und aufregende Veranstaltung. Politisch, weil ich überall in Deutschland auf „den“ Brexit angesprochen wurde – und doch nichts Genaueres über die Entscheidungsträger berichten konnte. Schließlich erlebe ich in Großbritannien die unterschiedlichsten Reaktionen und Kommentare in den Medien (Pro Brexit: u.a. The Times, The Daily Telegraph; contra Brexit: The Guardian, I[ndependent]), die schließlich die Uneinigkeit über die Wege zum Verlassen der EU in der britischen Regierung und im Parlament in Westminster widerspiegeln. Eine klare Verhandlungsposition gegenüber den Verhandlungspartnern in Brüssel sieht anders aus. Die Reaktionen der Londoner Finanzwelt ist eindeutig für einen Verbleib in der EU, weil sie den Verlust ihrer globalen Vorrangstellung befürchtet. Ganz ähnlich, aber etwas vorsichtiger äußerte sich kürzlich die Chefökonomin des Industriellenverbandes CBI (weil sie die Stimmung nicht selbst vermiesen wollte) über die Sorgen in den anderen Wirtschaftssektoren des Vereinigten Königreichs. Das Problem Schottland ist fast völlig in den Hintergrund gerückt. Dafür ist – neben der Höhe der offenen Rechnung Großbritanniens - die Sorge um einen möglichen neuen Konflikt in den Vordergrund getreten, wenn Nordirland mit Großbritannien aus der EU ausscheiden und die angrenzende Republik Irland in der Europäischen Union verbleiben wird. In der alten Universitätsstadt Oxford, die seit Jahrhunderten aus allen Ländern qualifizierte Wissenschaftler angezogen hat, befürchtet eine große Mehrheit spätestens 2019 sowohl den Wegzug von EU-Akademikern als auch den Verlust von bisher sprudelnden EU-Forschungsmitteln. Fairerweise muss ich aber auch die kritischen Argumente von nachdenklichen Engländern wiedergeben, die auf die mangelhafte Legitimierung der EU-Bürokratie ebenso verwiesen haben wie auf ihr Unbehagen, das sie über den zunehmenden Verlust der britischen Souveränität innerhalb der EU empfinden. Hoffen wir, dass mit dem französischen Präsidenten Macron die notwendigen Reformen der EU angepackt werden. - Die Deutschen, die ich in Berlin und Leipzig sprach, schüttelten immer wieder den Kopf: Wie kann man nur aus einem so nützlichen gemeinsamen Markt aussteigen wollen? Wie kann eine sonst so vom Common Sense geprägte Nation sich so etwas antun? Ist in den britischen Köpfen nach zwei Weltkriegen die verbindende Idee der europäischen Schicksals- und Friedensgemeinschaft überhaupt angekommen? Vielleicht kommt man beim Grübeln über diese britische Gegenwartsmisere auf die Absurde in den Stücken von Samuel Beckett, dem großen Iren. Oder man versucht es mit der Interpretation der Aufforderung, die ich heute in dem OXFAM-Buchgeschäft in Oxford las: „Take my advice, I’m not using it.“
In der deutschen Universitäts- und Messestadt Leipzig macht man sich zwar auch Gedanken, wie es mit der rechtslastigen Alternative für Deutschland (AfD) weitergehen wird, nachdem sie erst in fast alle Landesparlamente und zuletzt in den Bundestag eingezogen ist. Aber im Gegensatz zu Dresden scheint man in Leipzig viel stärker immun gegenüber Rechts zu sein. In Leipzig blüht neben dem bürgerschaftlichen Engagement, seit 2002 verstärkt durch die Stiftung „Bürger für Leipzig“, eine Vielfalt sozialer und ökologischer Projekte. Und auf künstlerischem Gebiet können die Leipziger sehr gut mit den Dresdenern konkurrieren: So ist neben dem wiederbelebten Ballett unter Mario Schröder, der das Erbe des früh verstorbenen Uwe Scholz 2010 aufnahm, das Gewandhausorchester zu nennen. Es wird – leider mit Verzögerung - im Frühjahr 2018 in dem Letten Andris Nelsons einen würdigen Nachfolger von Riccardo Chailly haben. Der unermüdliche Ehrendirigent Herbert Blomstedt, der seinen 90. Geburtstag feiern konnte, meistert derweil eine große Tournee. Und das MDR-Sinfonieorchester hat bereits seit 2012 mit dem Esten Kristjan Järvi einen kompetenten Dirigenten gefunden. Auch an diesen beiden Beispielen sieht man, welchen – auch musikalischen - Gewinn die Europäische Union mit den baltischen Staaten erlebt.
Last but not least: Ein aktuelles Erlebnis war für mich und viele andere der Tag der Bibliotheken, der dieses Mal am 24. Oktober in Leipzig gefeiert wurde: Die Universitätsbibliothek Leipzig, immerhin schon 1543 gegründet, wurde als „Bibliothek des Jahres 2017“ ausgezeichnet. Als ihr ehemaliger Direktor konnte ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen darüber sehr freuen. Was unter den Schlagwörtern „digital autonom, frei zugänglich und innovationsstark“ so gelobt wurde, ist im Internet ausführlich nachzulesen: http://www.bibliotheksverband.de/dbv/auszeichnungen/bibliothek-des-jahres/preistraeger/2017.html
Damit ist es dieser ostdeutschen Universitätsbibliothek, die mit ihrem Hauptgebäude, der Bibliotheca Albertina, lange Jahre in der DDR-Zeit ein Kümmerdasein führen musste, gelungen, sich sowohl baulich und technisch als auch organisatorisch als eine der führenden deutschen Bibliotheken zu etablieren.
Schicksale und Weisheiten in und aus Europa
18. März 1848 – eine Revolution in Deutschland, die Viele wollten und Wenige verhinderten
In Berlin wurde am 18. März 2018 vor dem Brandenburger Tor an den demokratischen Aufbruch vor 170 Jahren erinnert. Ein Ruhmesblatt in der häufig unrühmlichen deutschen Geschichte: Am 18. März 1848 kapitulierten die Truppen des preußischen Königs vor den aufständischen Demokraten – leider nur vorübergehend.
Rainer Zunder hat dazu die ausführliche Geschichte im „Blog der Republik“ geschrieben, nicht ohne auf Volker Schröder hinzuweisen, der unser historisches Gedächtnis immer wieder auffrischt:
Leben zwischen Polen, Deutschland und Schweden
Wie eng die Schicksale vieler Menschen in Europa miteinander verbunden sind, daran erinnert der Chefredakteur der schwedischen Zeitung DAGENS NYHETER im heutigen GUARDIAN unter der Überschrift:
Weisheiten aus Norrköping
Roger Taesler (1939-2018), promovierter Metereologe und Klimaforscher (sein Bestseller von 1972: "Klimadata för Sverige"), Professor an der Königlichen Technischen Hochschule Stockholm, war vor allem ein lebensfreudiger Familienvater, Freund und Schachpartner (s. Nachrufe in "Svenska Dagbladet" und "Dagens Nyheter" vom 22.03.2018). Wir haben ihn am 09. März 2018 in seiner Heimatstadt Norrköping verabschieden müssen. Er hinterließ uns seine vier praktischen Weisheiten für Gegenwart und Zukunft:
1. "You have to be lying down before you can get up"
2. "Better listen to the string breaking than never span a bow"
BREXIT: What happens the next day if there‘s no deal?
So lautete der Hauptartikel, der am 23. Februar 2019 im Londoner GUARDIAN erschien. Er hat auch uns in Oxford etwas verstört. Nach den letzten Meldungen aus der Politik vom 25. Februar, also knapp sechs Wochen vor dem offiziellen Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union, lauten die beiden Alternativen: Entweder Hinausschieben um einige Monate oder Ausscheiden ohne eine Vereinbarung. Die britische Premierministerin Theresa May, die einen Vertrag mit der EU ausgehandelt hatte, der vom Parlament abgelehnt worden war, lehnt jedoch eine Verschiebung ab.
Nach den vielen Auseinandersetzungen der letzten Monate und Wochen, die zwischen der konservativen Premierministerin und dem Parlament, zwischen Konservativen untereinander und Labour-Abgeordneten untereinander tobten, liegen bei allen Beteiligten inzwischen die Nerven bloß. Und jeder Tag bringt neue Verwirrung, so wie gestern, am 25.02., die Ankündigung der Labour-Party, ein zweites Referendum zu unterstützen.
Die Warnschüsse, die von der britischen Wirtschaft und der Wissenschaft kamen, und die Ermahnungen der EU-Spitzenpolitiker haben die Mitglieder des Unterhauses in London nur zu einem geringen Teil beeindruckt. Bleibt der bisherige Common Sense der Briten auf der Strecke? Nach Meinungsumfragen ist die Bevölkerung weiterhin gespalten.
Verschlungen die Wege zu einer Lösung wie jene in dem Gebäude der Blavatnik School of Government Oxford
Was wären die wichtigsten Änderungen für all jene, die nach einem No-Deal-Austritt ab 29. März reisen müssen oder wollen? Der GUARDIAN listete auf:
- Führerschein: Die Briten, die mit dem eigenen Auto auf dem Kontinent reisen wollten, müssten sich ab 30.März einen internationalen Führerschein für € 5,50 kaufen und die Besonderheiten bei Reisen in Frankreich und Portugal beachten. Der britische Führerschein würde nicht mehr akzeptiert.
- Europäische Gesundheitsversicherungskarte: Sie würde nicht mehr für die Briten gelten, die künftig eine entsprechende Reiseversicherung kaufen müssten.
- Mobilfunk: Mobilfunkgesellschaften schließen für die Briten nicht aus, dass sie wieder Roaminggebühren zahlen müssten, die die EU sukzessive abgeschafft hatte.
- Pensionen und Renten: Britische Rentner in der EU müssten sich Sorgen um ihre staatlichen Alterspensionen machen, insbesondere ob diese weiter jährlich angepasst würden. Private, d.h. betriebliche, Ruhegehälter wurden jedoch inzwischen geregelt.
- Reisen mit Tieren: Die EU-Passregelung für Tiere würde von teuren Untersuchungen bei jeder Reise auf den Kontinent ersetzt werden.
- Visa: Der visafreie Verkehr nach Europa würde enden und könnte von 90-Tage-Visa gegen Zahlung von 52 Pfund ersetzt werden.
Diese Punkte sind noch relativ harmlos, wenn man bedenkt, welche Probleme sich bereits jetzt in der schwächelnden britischen Wirtschaft zeigen, insbesondere bei der Autoindustrie. Die Verlagerung von Firmensitzen beweist ebenfalls große Unsicherheit. Eine Verstopfung der Häfen, die sich nach Einführung von Zollregularien durch den Rückstau von LKW mit Lebensmitteln und Gütern ergeben würde, hat das britische Transportministerium schon mal durchgespielt. Und was sich an neuer Gewalt in Irland ereignen könnte, davon haben die beiden kleinen Bombenattentate vor einigen Monaten Vorgeschmack gegeben…
Angesichts eines weiterhin gespaltenen Landes ist zu fragen, ob es überhaupt eine kurzfristige Lösung geben kann. Und die Erfahrungen der letzten Jahre mit massiven Manipulationen durch Falschinformationen werfen eine grundsätzliche Frage auf, die mittel- und langfristig zu beantworten ist: Dient die heute in der westlichen Welt praktizierte demokratische Verfassung mit Wahlen und Volksbefragungen, die von Populisten und Einflussnehmern verschiedener Couleur und geographischer Herkunft beeinflusst werden (können), noch dem gemeinen Wohl, der Res Publica? Allein zwei aktuelle Beispiele lassen Zweifel aufkommen: Das britische Beispiel einer Selbstlähmung, die das politische System zur Zeit erfährt, und das amerikanische Beispiel eines Präsidenten, der gegen alle wissenschaftlichen Zeugnisse erklärt, dass es den Klimawandel und damit die Gefahr einer zivilisatorischen Selbstzerstörung gar nicht gibt.
Holywell Music Room und deutsch-englisch-irische Musikkontakte
Holywell Music Room und deutsch-englisch-irische Musikkontakte
Einer der ältesten Konzertsäle Europas steht im Zentrum von Oxford. Der barocke Holywell Music Room wurde 1748 mit einem Oratorium von Georg Friedrich Händel feierlich eröffnet. Händel, geboren in Halle an der Saale, wirkte jahrzehntelang erfolgreich in London und führte 1742 in der irischen Hauptstadt Dublin erstmals seinen berühmten „Messiah“ auf. Er konzertierte sogar selbst im Sheldonian Theater, dem zentralen universitären Versammlungsort in Oxford, der von Christopher Wren, dem dortigen Professor für Astronomie, bereits 1663 als zentraler universitärer Versammlungsort entworfen worden war.
Im Holywell Music Room dirigierte am 07.Juli 1791, ein anderer deutscher Komponist, Joseph Haydn, seine Oxforder Sinfonie. Dieser kleine, aber sehr feine Konzertsaal, der auch eine kleine Orgel besitzt, gehört zum Wadham College. Er ist heute noch Ort von eher intimen musikalischen Aufführungen, wozu unter anderem die Kaffeekonzerte am Sonntagmorgen gehören.
Ein kritischer und warmherziger Sozialist: Theodor Bergmann zum 98. Geburtstag
Es ist immer wieder bereichernd, Geschichte durch Menschen zu erfahren. Insbesondere dann, wenn man – wie der Verfasser - selbst als Historiker tätig ist und diesen Menschen freundschaftlich verbunden ist. Einer von ihnen ist Theodor Bergmanns, dessen Leben nun bald 100 Jahre Geschichte umfasst, die sich in Deutschland, in Europa und Übersee abspielte; vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Bergmann_%28Agrarwissenschaftler%29
Am 07. März 1916 in die kinderreiche Familie eines Rabbiners in Berlin hineingeboren, wurde er noch als Schüler Zeuge und Opfer eines schändlichen Antisemitismus, der ihn bis Kriegsende über Palästina und die Tschechoslowakei bis nach Schweden vertrieb. Seine sozialistische Gesinnung bereitete ihm zusätzlich Probleme, schenkte ihm aber auch weltweit Freunde. Erst nach Kriegsende konnte er Agrarwissenschaft in Deutschland studieren. An der Universität Hohenheim lehrte Bergmann später bis zur Emeritierung als Professor für Internationale Agrarpolitik. Als Experte bereiste und begutachtete er landwirtschaftliche Projekte in Asien und Südamerika. Als kritischer Sozialist meldete er sich immer wieder schriftlich und mündlich in der Öffentlichkeit, und als politisch wachsamer Zeitgenosse berichtete Bergmann den nachwachsenden Generationen in Deutschland von erlebter Geschichte im „Jahrhundert der Extreme“. So hat sein in Großbritannien wirkendes Pendant, der Historiker Eric Hobsbawm, der ebenfalls in Berlin sozialistisch sozialisiert wurde, eines seiner bekanntesten Werke benannt. Bergmann und Hobsbawm haben sich leider persönlich nie kennengelernt.
Theo Bergmann wurde 2006 anlässlich seines 90. Geburtstages in Stuttgart auch wissenschaftlich gefeiert. Seine Freunde und Weggefährten aus aller Welt wünschen ihm anlässlich seines 98. Geburtstages am 07. März, dass er das Jahrhundert seines Lebens vollmachen möge.
Neuerscheinung: Werner Taesler. Flüchtling in drei Ländern
Als Herausgeber und Autor des umfangreichen Nachwortes habe ich mit dem deutsch-schwedischen Architekten und Sozialisten Werner Taesler (1907-1998) einen Menschen entdeckt, der durch seine Memoiren und Tagebucheintragungen, seine Baupläne und Aquarelle zu den kritischen und zugleich nachdenklichen Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte. Taesler zählt zu den wenigen Architekten des Bauhauses, die dessen Anregungen und die Erfahrungen (als Mitarbeiter von Ernst May) in der Sowjetunion in das demokratische Schweden mitbrachten und von dort wiederum eine Fülle von Anregungen für ihr Wirken empfingen. Er wurde als kritischer Sozialist zugleich Vorreiter eines sanften Tourismus in Schweden.
Das Buch (336 Seiten, 39 Abbildungen) erschien im Stuttgarter Verlag Opus Magnum Edition Amici. Die Paperbackausgabe ist für € 19,90 im Einzel- und Versandbuchhandel erhältlich.
Die unheilige Gemeinschaft der Geheimdienste
Es waren viele Wissenschaftler und/oder Insider zum Vortrag von Michael Hayden gekommen. Das konnte ich auch aus dem Gesprächen der Herren hinter mir entnehmen, die sich über die jüngsten Weihnachtskarten des englischen GCHQ und des deutschen BND ebenso lustig machten wie über die sehr unterschiedliche Finanzierung des Bundesnachrichtendienstes. Vor einigen Tagen konnte ich den ehemaligen Chef der NSA, General Michael Hayden, als Gastprofessor in Oxford erleben. Vom ersten Eindruck ein typischer amerikanischer „Eierkopf“, aber mit militärischer Haltung und – im Vergleich zum Aussehen normaler Oxforder Fellows – außergewöhnlich gut gekleidet. Hayden war zur Zeit des Terrorangriffs auf die Twin Towers in New York 2001 Leiter der National Security Agency, später Direktor der CIA. Wortgewaltig problematisierte er vor dem Hintergrund der Snowden-Enthüllungen, welche Güterabwägungen die mit der Terrorbekämpfung befassten amerikanischen Organisationen - vor dem Hintergrund der amerikanischen Verfassung - zu machen hätten: Zwischen Schutz der Privatsphäre und Schutz vor Terrorakten, zwischen Kollateralschäden auch politischer Art (Merkels Telefonüberwachung und deren Entdeckung) und Terrorbekämpfung. Dabei ließ Hayden mit feinem Zynismus erkennen, dass sich die amerikanischen Geheimdienste zwar der eigenen, aber weniger den Verfassungen anderer Länder, die sie ausspähen, verpflichtet fühlen. Auf die Frage des GUARDIAN-Journalisten Ewen MacAskill, ob Hayden sich einen Deal mit Edward Snowden vorstellen könne, antwortete dieser, dass die amerikanische Regierung dafür wenig Begeisterung zeige. MacAskill hatte Snowden in HongKong kennengelernt, als das Interview aufgenommen wurde und die NSA-Daten übergeben wurden. Er hatte dort einen erstaunlich jungen, aber sehr überlegten Mann von 29 Jahren erlebt, der als Verfechter der amerikanischen Freiheitswerte eher konservativ eingestellt ist.
Sicher ist, dass Snowden einigen Staub, der sich auf die amerikanische Verfassung gelegt hatte, aufgewirbelt hat. Kein Wunder, dass außer dem ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore auch andere amerikanische Politiker ihren Protest gegen die Verfassungsverletzungen durch die NSA äußerten; vgl. http://www.theguardian.com/world/interactive/2013/nov/01/snowden-nsa-files-surveillance-revelations-decoded#section/1
Werner Taesler. Flüchtling in drei Ländern
Mehr zu meinem Buch siehe hier
Snowden, Journalisten und der Rest der Welt
Die vierte Gewalt – neben Legislative, Exekutive und Jurisdiktion – stellen die Medien dar. So einfach erscheint uns in der sogenannten westlichen Welt die Verfassungswirklichkeit. Oder sollte sich dazwischen noch eine fünfte Gewalt, die der Geheimdienste, etabliert haben?
Es hat ganz den Anschein. Denn weder die Parlamente noch die Gerichte und offenbar erst recht nicht die Regierungen haben die Geheimdienste, vor allem die amerikanische National Security Agency (NSA) und die britische Government Communications Headquarters (GCHQ in Cheltenham, ganz in der Nähe von Oxford) im Griff. Da ist es ein Glück, dass es noch mutige Journalisten und heldenhafte Geheimdienstmitarbeiter gibt, die die Irrwege dieser Organisationen im Kampf „gegen den Terrorismus“ aufzeigen. Sie haben nicht nur George Orwells Buch „1984“, 1949 (!)erschienen, gelesen, das seitdem Generationen von Schülern vor dem Überwachungsstaat gewarnt hat. Sie haben auch die geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungen ihrer Länder gelesen. Und sie verteidigen mit der Veröffentlichung von digitalen Geheimdienstakten ihre (und unsere) persönlichen und beruflichen Freiheitsrechte.
Luke Harding, jahrelang Korrespondent in Berlin, dann in Moskau für die englische Zeitung „THE GUARDIAN“, hat nicht nur die Überwachungs- und Verfolgungstätigkeiten von Wladimir Putins Geheimdienst erlebt und beschrieben. Er hat heute, am 03.02.2014, auch ein gut recherchiertes Buch über den „Verrat“ Edward Snowdens und die Mitwirkung englischer und amerikanischer Journalisten herausgebracht („The Snowden Files: The Inside Story of the World’s Most Wanted Man“. London: Guardian Faber 2014). Der Vorabdruck am vergangenen Wochenende im GUARDIAN hat die Hilflosigkeit und die Willensschwäche der amerikanischen und der englischen Regierungen aufgezeigt, die Macht ihrer Geheimdienste zu begrenzen und die Freiheitsrechte des Einzelnen bzw. der Einzelnen – wenn man auch die deutsche Kanzlerin mit einbeziehen will – zu schützen. Merkels diplomatisch gebremsten Zorn, aber auch ihre Hilflosigkeit konnte man im deutschen Fernsehen erleben.
Im GUARDIAN konnte man nun nachlesen, wie sich Regierungsbemühen – z.B. beim britischen Versuch, die Verbreitung der Leaks, der digitalen Geheimdienstakten, zu stoppen – sogar zur Realsatire entwickelte. Klicken Sie mal:
http://www.theguardian.com/world/2014/feb/01/edward-snowden-gchq-visit-guardian-destroy-computers
Berlin – Leipzig – Oxford
Kunst in Berlin und Wien um 1900: Maler wie Liebermann und Klimt standen auf dem Programm einer großen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Sie steht normalerweise etwas im Schatten der alten und neuen Nationalgalerien. Zumindest Ende des Jahres 2013 lief die Berlinische Galerie den beiden Großen den Rang ab. Man muss sie im Auge behalten, und Kunstreisenden empfehle ich, das Obergeschoss mit zeitgenössischen Berliner Künstlern (eine Dauerausstellung) nicht zu versäumen. Haben Sie schon mal etwas von der „Schule der Neuen Prächtigkeit“, einer speziellen Berliner Richtung der 1970er Jahre (http://www.tu-berlin.de/?id=70644), gesehen?
Und dann ging es kurz - eine Bahnstunde entfernt - in eine andere Kulturstadt: Leipzig, dessen Bürger in Jahrhunderten nicht nur ein Bildermuseum gefüllt haben (neben der konkurrierenden Residenzstadt Dresden mit der Gemäldegalerie etc.), sondern nach der erfolgreichen friedlichen Revolution von 1989/1990 sich wieder als Stifter engagiert haben. Die sozial, ökologisch und kulturell tätige Stiftung „Bürger für Leipzig“ (http://www.buerger-fuer-leipzig.de/), bei deren Gründung ich dabei war, feierte ihren zehnten Geburtstag im urigen Akademixer-Keller. In diesem hatten schon in sozialistischer Zeit die Kabarettisten die Obrigkeit gepiesackt.
Zurück im milderen, aber weiterhin sehr nassen Oxford
hörte ich nachträglich das Interview, das der kritische ZDF-Journalist Claus Kleber mit Präsident Barack Obama machte: Über dessen schlechtes Image, die alles Wissen wollende NSA und die europäischen Nörgler. Erleben Sie mal, wie hohe Politik sich anhört, wenn ein Journalist sie auf Hohlheiten abklopft (auf Englisch):
http://www.youtube.com/watch?v=v4OtDENMOD8
Mut fassen, Mut und Druck machen!
Mut fassen, Mut und Druck machen!
Ein Appell, der nicht einfach mit dem Argument der Naivität beiseite geschoben werden kann:
An einem Sonntag wie diesem, am 11.08.2019, wanderten die Gedanken zu einer Vielzahl von Dingen. Zu historischen Ereignissen wie dem Berliner Mauerbau am 13. August 1961, den ich seinerzeit an Bord eines Frachtschiffes vor der westafrikanischen Küste erlebte. Was in den folgenden fast dreißig Jahren keiner für möglich gehalten hatte: Im November 1989 fiel diese Mauer – nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland. Menschen in Leipzig und Berlin machten es möglich, weil sie Druck machten.
Meine Gedanken gingen aber vor allem zu einer Vielzahl von Problemen, die wir gegenwärtig weltweit haben und die wir alle gemeinsam lösen müssen. Dazu gehören insbesondere
- der beängstigend schneller werdender Klimawandel, den furchtsame, korrupte und/oder populistische Politiker geschehen lassen;
- die vielen akuten oder schwelenden Konflikte, die in Europa (insbesondere Ukraine, EU-Großbritannien), Afrika (insbesondere Sudan, Mali, Jemen), Asien (insbesondere Afghanistan, Syrien, Palästina, Hongkong, Kaschmir) ablaufen, internationale Auswirkungen haben, aber nicht mehr durch Verhandlungen, z.B. im Rahmen der UNO, gelöst werden.
„Dank“ der schnellen Vermittlung der Details dieser Probleme durch die Medien erleben wir zugleich eine derartige Fülle an Informationen dazu, so dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, sie mental zu verarbeiten. Hinzu kommt der Zweifel an den Möglichkeiten, die Probleme als informierte und mündige Bürger angehen zu können. Die Wissenschaftler haben die Analysen und die Problemlösungen geliefert, aber die politische Elite scheint unfähig zu sein, jenseits des Zyklus‘ von Wahlperioden mittel- und langfristige Lösungen gemeinsam zustande zu bringen.
Statt Resignieren: Mut haben und Druck machen: Zum Glück ist es die junge Generation weltweit, die sich nicht mehr alles gefallen lässt und aufbegehrt. Wir von der älteren Generation werden beschämt, weil wir offensichtlich geschlafen, versagt haben bei der Lösung der o.a. Probleme. Und wir erinnern uns des Versagens unserer Väter und Mütter, die sich nicht dem Nationalsozialismus entgegenstellten. Jetzt ist die mittlere Generation gefordert, die in der Wirtschaft, im politischen und öffentlichen Leben steht. An sie geht der Appell, Druck auf allen unteren, mittleren und oberen Ebenen auf Entscheidungsträger zu machen, um die genannten Bedrohungen abzuwenden. Vor allem die Mitglieder dieser Generation haben - durch Reisen und mediale Kontakte – die Möglichkeiten, Einfluss auch in anderen Ländern zu nehmen – unabhängig von den dortigen politischen Systemen.
Bescheidenheit und Mut praktizieren:Die Überheblichkeit, mit der wir, Westeuropäer und Amerikaner, von der Überlegenheit der freiheitlichen und demokratischen Ordnungen sprachen und heuchlerisch Waffen in Spannungsgebiete lieferten, muss zu den Akten gelegt werden!
Der Erste Weltkrieg und die Auseinandersetzungen über die Schuldfrage in England und Deutschland
s wird wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bevor sich Historiker und Politiker in Großbritannien darüber einig sein werden, wer mehr oder weniger die Schuld am Ausbruch des ERSTEN WELTKRIEGES trägt und was darüber in den Schulbüchern stehen sollte. Darüber ist gerade eine ungewöhnlich heftige Debatte entbrannt, in der sich konservative Politiker und kritische Historiker gegenüberstehen. Zu Recht verwundert, auch über den ganz und gar nicht „englischen“ Stil der Auseinandersetzungen, ist der deutsche Beobachter und der Journalist und ehemalige Oxford-Student Alexander Menden in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 10. Januar 2014:
In Deutschland ist die öffentliche Diskussion um die Schuldfrage seit den Aufregungen der 1960er Jahre um Fritz Fischers Buch „Griff nach der Weltmacht“ von der Aufarbeitung der moralischen Katastrophe des ZWEITEN WELTKRIEGES überlagert. Es ist offenbar kein öffentliches Thema mehr. Fischer hatte damals die konservative, ältere deutsche Historikerzunft mit der berechtigten These aufgebracht, wonach das deutsche Kaiserreich mit seiner imperialistischen Politik den Hauptanteil am Ausbruch des ERSTEN WELTKRIEGES hatte. Die fundierten Bücher der britischen Historiker, insbesondere von Richard Evans, der jetzt vom konservativen Erziehungsminister Michael Gove besonders attackiert wird, und Christopher Clark, sind in den letzten Jahren erschienen und sehen als Verursacher des ERSTEN WELTKRIEGS nicht nur die deutsche Seite. Hier Evans Gegenattacke im GUARDIAN vom 06.01.2014:
http://www.theguardian.com/books/2014/jan/06/richard-evans-michael-gove-history-education
Anders als in Großbritannien, wo patriotische Erinnerungen an die Opfer des ERSTEN WELTKRIEGES gepflegt werden, gelten öffentliche Gedenkfeiern in Deutschland heutzutage den Opfern des ZWEITEN WELTKRIEGES, insbesondere des Holocaustes.
Brexit: Machtkampf in London – Regierung gegen Parlament
Seit dem Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, den im Jahre 2016 52 % der wählenden Briten befürworteten, aber immerhin 48 % ablehnten, ist ein Machtkampf zwischen der Exekutive und der Legislative entbrannt. Zur Erinnerung: Die Parteivorsitzende der Konservativen und Premierministerin Theresa May, die in diesen Ämtern bestätigt worden war, konnte ein mühsam mit der EU-Kommission ausgehandeltes Ausstiegsabkommen im Unterhaus nicht durchbringen. Die EU-Staaten hatten es akzeptiert, das britische Unterhaus lehnte es mehrmals ab. Knackpunkt war stets das Bestehen der Mehrheit auf der vollen Rückgewinnung der Souveränität Großbritanniens. Der „Backstop“, die Versicherung, dass Nordirland beim Brexit keine harte Grenze zur Republik Irland haben sollte, war als Problem nicht zu lösen. Darüber stürzte May. Der erzkonservative Abgeordnete und zeitweise Außenminister der Regierung May, Boris Johnson, übernahm die Regierung mit dem ausdrücklichen Versprechen, Großbritannien bis zum 31. Oktober 2019 aus der EU herauszuführen, einen Brexit auch ohne ein Abkommen mit der EU durchzuführen.
Heute, am 09.09.2019, versucht das Unterhaus erneut, eine Lösung zu finden. Es geht um die Neuwahl des Parlaments vor dem 31.Oktober, was eine Zweidrittelmehrheit voraussetzt. Das wäre eine Begründung für die Verschiebung des Austritts, die jedoch von Johnson abgelehnt wird. Die stärkste Opposition, die Labour Party, ist in der Frage des Brexit gespalten. Immerhin konnten sich parteiübergreifend die Parlamentarier auf ein Gesetz einigen, das es Johnson verbietet, ohne ein Abkommen mit der EU den Brexit ab 31.Oktober zu vollziehen.
Die Zeit für eine Einigung läuft heute, am 09.09.2019, aus. Ab Morgen wird das Unterhaus aufgrund einer Anordnung des Premierministers in einer vierwöchigen Parlamentspause sein, also nicht mehr handeln können.
Anzeige im DAILY TELEGRAPH vom 09.09.2019
Inzwischen gibt es auch unter den EU-Regierungen verstärkt den Wunsch, den Austritt Großbritanniens über den 31. Oktober hinaus nicht zu akzeptieren. Im DAILY TELEGRAPH von heute, 09.09.2019, hat die britische Regierung eine ganzseitige Annonce geschaltet, die an Deutlichkeit nicht zu übertreffen ist. Nebenbei bemerkt: Es handelt sich um die große konservative Zeitung, in der Johnson bisher seine entsprechenden Kolumnen gegen ein hohes Salär geschrieben hat. Und noch eins: Vor etwa 400 Jahren kämpfte schon einmal ein Monarch um die Macht mit dem Parlament. König Charles I. löste einen Bürgerkrieg in Großbritannien aus und verlor buchstäblich den Kopf.
Ob Boris Johnson, der zusammen mit seinem Berater Dominic Cummings, ohne Verlust seines Amtes diesen Drahtseilakt durchführen kann, also noch abstürzen wird? Das ist auch eine Schicksalsfrage für die britische Demokratie mit einer machtlosen Königin an der Spitze. Sicher ist schon jetzt der wachsende Schaden für die britische und irische Wirtschaft, aber auch für das britische Gesundheits- und Wissenschaftssystem, alle sind auf den personellen „Blutaustausch“ mit der Europäischen Union angewiesen. Die 27 anderen EU-Staaten verlieren beim Brexit ebenfalls, vor allem den kritischen Partner bei der notwendigen Reform der Union. Der menschliche und politische Schaden bei der Wiederaufrichtung von Grenzen, einer neuen „Splendid Isolation“, ist nicht einmal zu kalkulieren. Ein Brexit ohne Einigung über die Modalitäten wird angesichts der engen Verflechtung Großbritanniens mit der EU jedoch zumindest zeitweise ein Chaos auslösen.
“Reality is that which, when you stop believing it, doesn’t go away!“
Mit diesem mahnenden Ausspruch von Phillip K. Dick (1928-1982) kommt man/frau sicher besser auch durch das neue Jahr 2014! Dieser amerikanische Autor war zeitweise psychisch labil und litt unter dem Wahn, vom FBI und dem russischen KGB verfolgt zu werden. Was würde er wohl heute sagen, wenn er von den Enthüllungen Edward Snowdens über die Machenschaften der NSA und den Erfahrungen des englischen Journalisten Luke Harding mit dem FSB (Nachfolger des KGB) in Moskau erführe.
Das Foto, das ich von dem Plakat am Mauer-Gedenkstätte friedlich „schoss“, soll an die immer gültigen Forderungen von 1789 erinnern. Und das Gedicht des englischen Dichters Charles Hamilton Sorley (1895-1915), der im Ersten Weltkrieg ebenso wie viele junge Deutsche starb, erinnert uns daran, wie wichtig dazu der Frieden ist. Sorley hatte vor Aufnahme seines Studiums in Oxford sechs Monate in Deutschland verbracht.
„To Germany
You are blind like us. Your hurt no man designed,
And no man claimed the conquest of your land.
But gropers both through fields of thought confined
We stumble and we do not understand.
Your only saw your future bigly planned,
And we, the tapering paths of our own mind,
And in each other’s dearest ways we stand,
And hiss and hate. And the blind fight the blind.
When it is peace, then we may view again
With new-won eyes each other’s truer form
And wonder. Grown more loving-kind and warm
We’ll grasp firm hands and laugh at the old pain,
When it is peace. But until peace, the storm
The darkness and the thunder and the rain.”
Die britischen Wahlen 2019: Tragödie oder Farce?
Die Wahlen zum britischen Unterhaus waren für Viele so etwas wie eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Gab es doch zwei Parteiführer, die auch innerhalb ihrer Parteien selbst umstritten waren. Hier der konservative Boris Johnson, der bei dem Brexit-Referendum und danach sehr frei mit Fakten umgegangen war, dies aber mit seinem Großen-Jungen-Charme beiseiteschieben konnte. Dort ein prononciert sozialistischer Jeremy Corbyn, der sich weder für noch gegen den Brexit aussprechen wollte. Die kleine Liberaldemokratische Partei unter der jungen Jo Swinson war die einzige Partei, die klar für den Verbleib in der Europäischen Union plädierte. Das wurde jedoch nicht honoriert.
Wo waren die vielen EU-Anhänger und Klimawandelgegner der letzten Monate geblieben, als es am 12. Dezember bei der Wahl um den Austritt aus der EU, eine sozialere Politik und eine bessere Umweltpolitik ging?
Die Kommentare in den Medien hatten eine Vielzahl von Erklärungen. Ich denke: Das britische Wahlvolk hatte generell genug von der Brexit-Frage und wollte die Umsetzung des Entscheids der 52 %, der EU-Gegner. Die Wähler hatten auch keine Sympathien für Corbyns radikale Pläne, die auf eine Nationalisierung von Schlüsselsektoren hinausliefen. Deshalb wurde mit überwältigender Mehrheit Johnson gewählt. Er hat nun (fast) freie Hand in der Durchsetzung seiner Politik für einen sofortigen Brexit, die Sanierung des Gesundheitssystems sowie die verstärkte Durchsetzung von Gesetz und Recht. Johnson will das Vereinigte Königreich (wieder) in eine glorreiche Zukunft führen.
Dabei werden es vermutlich die schottischen Nationalisten mit ihren starken Gewinnen sein, die ihm einen Knüppel zwischen die Beine werfen werden. Sie wollen eine Referendumsentscheidung über das Ausscheiden Schottlands aus eben diesem Vereinigten Königreich erreichen. Derweil werden die Verhandlungen zwischen London und Brüssel laufen, um die Detailfragen der Loslösung Großbritanniens von der EU zu klären. Und die werden noch lange dauern.
Britische Politik bleibt also spannend und wird weiter zwischen Tragödie und Farce schwanken. Shakespeares Narr hätte reichlich Stoff für seine Kommentare…
Brexit, the most pointless, masochistic ambition in our country’s history is done
So lautete ein Tweet der britischen Aktivistin Julie Hickmott am 01.Februar 2020.
Auch am zweiten Tag nach dem Austritt fällt mir nichts Neues mehr ein zum Thema, das uns auf der Insel und auf dem Kontinent seit vielen Monaten beschäftigt, aber auch ermüdet hat.
Die eine freut sich (DAILY MAIL), der andere sorgt sich (THE GUARDIAN). Je nachdem, welche Zeitung man in Großbritannien liest.- In Oxford, wo man mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt hatte und die "Remainer" stark im Stadtparlament vertreten sind, war die Stimmung traurig-trotzig: Um 23 h/24 h MEZ quittierten die „Remainer“ auf dem Bonn Square am 31.01.2020 mit der Europahymne „Freude schöner Götterfunke“ die Loslösung der britischen Insel von Europa. Den deutschen Text hatten sich einige Briten zuvor ausgedruckt…
Hier weitere Reaktionen in der alten Universitätsstadt Oxford: https://www.oxford.gov.uk/news/article/1309/oxford_city_council_flies_twin_city_flags_following_uk_s_brexit
Auch nichts Neues: Beide Seiten, die Johnson-Regierung und die EU-Unterhändler bauen nun ihre Drohkulissen für die Verhandlungen auf, die das Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union nach dem 31.12.2020, dem Ende der Verhandlungsfrist, regeln sollen.
Was bleibt nach 47 Jahren Gemeinsamkeit?
Ein Gefühl der Verbundenheit, insbesondere der jungen Generation - jenseits von wirtschaftlicher und Großmannssucht;
Traurigkeit der älteren Generation - weil die Erfahrungen von zwei Weltkriegen mit so vielen Toten und die Freude über gemeinsam erlebten Frieden und Wohlstand nicht ausgereicht haben...
What is better?
Forming a government: British pragmatism versus German thoroughness...
Oxford im Corona-Frühling 2020
So zeigt sich gegenwärtig die alte Universitätsstadt Oxford. Die Menschen sind auf Distanz zu
einander gegangen, und jeder grüßt jetzt jeden verständnisvoll und freundlich. Doch im Hintergrund lauert weiterhin die Pandemie.
Hier die letzten Zahlen der WHO. (Stand: 17.04.2020)
Jetzt sind es schon vier Wochen her, dass meine Frau Helen und ich in Selbstisolation gegangen sind. Die Zeit habe ich sehr genutzt, um mein lang gehegtes Projekt, ein Buch über die jungen Akademiker in der Organisation von Alfred Rosenberg, Hitlers Chefideologen, endlich zu Ende zu bringen („Rosenbergs Elite und ihr Nachleben“). Vor drei Tagen habe ich das Manuskript an den Verlag geschickt.
Trotz meiner Konzentration auf das Buch erlebte ich durch die Medien, dass die britische Regierung wesentlich später zu den notwendigen Beschränkungen gegriffen hat als die deutsche. Der Premierminister gab ein schlechtes Beispiel, weil er am Virus selbst erkrankte. Hinzu kam, dass das hiesige (kostenlose) staatliche Gesundheitssystem in der Krise überfordert war und ist. Am 17. April wurden 861 neue Tote in Großbritannien gezählt. Andererseits gehören die Mediziner der hiesigen Universität gegenwärtig zu den Spitzenforschern bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19. Im Vergleich dazu kommt Deutschland, auch was die Todesraten (299) angeht, besser weg. Die Iren (42) sind in der Hinsicht noch besser! Die Amerikaner (2.350) schocken uns täglich mit den Opferzahlen aus New York.
Wir sind in „Luxus“-Isolation, weil wir einen kleinen Garten und einen großen Park für den täglichen Spaziergang haben. Und weil wir uns von einem großen Lieferdienst mit Lebensmitteln, dem Milkman mit Milchprodukten, dem französischen Bäcker mit leckeren Backwaren sowie einem Lieferanten von frischem Bio-Gemüse,-Obst, -Fisch und -Fleisch versorgen lassen. Dieses Versorgungssystem bedingt allerdings gute Planung, weil wir nur in wöchentlichen Zeitfenstern bestellen können und die Lieferung erst in einer Woche – in der Regel vollständig – bekommen. Schade natürlich, dass wir Helens kleine Enkeltochter Willow nur auf Distanz oder auf Fotos erleben können, was auch für meine Kinder und Enkelkinder bei Bonn gilt.
Von unseren indischen Freunden habe ich erfahren, dass sich die Mutter mit ihrer behinderten Tochter in Mumbai, dem gemeinsamen, auch beruflichen Mittelpunkt, befindet. Der Ehemann steckt dagegen in London und der Sohn auf einer indischen Insel fest. Wie soll die Pandemie in einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen bekämpft werden, für das die Regierung des Hindu-Nationalisten Modi kürzlich einen Lockdown verordnet hat? Die Folgen in den dichtest besiedelten Städten mit riesigen Shanty Towns vermag ich mir angesichts der katastrophalen Entwicklung in Italien, Spanien und in den USA nur mit Grausen vorstellen.
Natürlich vermissen auch wir die bisherigen Annehmlichkeiten, weil wir nicht einfach andere Menschen besuchen, ins Stadtzentrum, ins Kino oder in ein Restaurant gehen können. Dafür erleben wir viel soziale Wärme über die sozialen Medien und über die elektronische Post. Oder sichtbare Zeichen der Unterstützung, die Kinder in unserer Nachbarschaft für die strapazierten Krankenschwestern und Ärzte gemalt haben:
Wir erlebten auch typisch britische Reaktionen auf die Corona-Krise. So erfuhren wir von dem Wunsch eines befreundeten Professors, der bisher begeisterter Golfspieler war und es bleiben wollte. Er konnte nun nicht mehr auf der Weite eines Golfplatzes spielen. Er überlegte, googelte und fand für seinen kleinen Garten in Oxford eine Lösung: Er baute ihn zu einem drei mal drei Meter großen Golfplatz um, der mit einem drei mal drei Meter hohen Netz abgesichert wurde. Wir haben seine köstliche Schilderung mit Fotos vom Aufbau und der Inbetriebnahme gelesen. Der Mini-Golfplatz funktioniert, die Schläger sind in Betrieb...
In der Hoffnung, dass wir möglichst alle gesund bleiben können, grüßt aus Oxford
Nicht aufgeben! Don’t give up!
Mit dem nachfolgenden und geplanten weiteren Beiträgen bitte ich ausdrücklich um Eure Kommentare.
Sie haben unterschiedliche Verfasser. Gemeinsam haben sie die Sorge um Menschen, Tiere und unsere Umwelt. Zusätzlich zu den vielen ungelösten politischen Konflikten, deren tausendfachen Opfern und Massenwanderungen von Süd nach Nord ist eine Pandemie ausgebrochen. Das Sterben der Menschen geht uns alle weltweit direkt an.
Die dynamische Statistik (s.u. Link), die in der aktuellen BBC-Meldung über die Covid-19-Pandemie enthalten ist, zeigt das erschreckende Versagen der politischen Führer, auch beim Zwang zu kooperativen Handeln:
https://www.bbc.co.uk/news/health-51048366
Über das Artensterben in der Tierwelt wird ebenfalls laufend berichtet. Was aber passiert – nur ab und zu berichten die Medien über Waldbrände – mit den Wäldern und deren Sterben vor unserer Haustür? Darüber schreibt ganz konkret von der Naturwissenschaftler Bernd Reuter.
20.05.2020
Ekkehard Henschke
Die Kulturlandschaft „Wald“ unter den Bedingungen der Klimaänderung
Wie können wir unsere Wälder erhalten?
Bernd Reuter*
Seitdem in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts das Phänomen des Waldsterbens als überwunden galt, nachdem eine Reihe von Maßnahmen zur Luftreinhaltung erfolgreich installiert waren, kommt es nunmehr infolge der Klimaveränderungen zu einer nahezu katastrophalen Vernichtung der Wälder.
Der Wald in Deutschland ist seit der Zeit der Romantik zu einem Sinnbild der Stabilität, der Dauerhaftigkeit und der Stärke sowie einem Symbol der Treue und Unverbrüchlichkeit geworden. Das hat letztlich seine Ursachen nicht nur in der ökonomischen Bedeutung, sondern auch in den vielfältigen ökologischen und sozialen Funktionen des Waldes.
Deshalb ist das Fortbestehen unserer Wälder für viele Menschen nicht nur eine existenzielle Frage – von ebenso großer Bedeutung sind die unverzichtbaren Gunstleistungen, die von den Wäldern für die gesamte Gesellschaft erbracht werden.
Müssen wir uns von unserer über Generationen tradierten Vorstellung vom Wald lösen? Ist der Wald – seine Baumartenzusammensetzung, seine Bewirtschaftung, sein Bild - in Deutschland überhaupt jemals über längere Zeit statisch gewesen oder unterliegen wir möglicherweise einem Trugbild?
Neuartige (klimawandelbedingte) Waldschäden
Die Vegetationsjahre 2018 und 2019 waren zwei deutlich zu trockene und zu warme Jahre. Der Waldzustandsbericht von Sachsen-Anhalt führt aus, dass im Vergleich zur Klimareferenzperiode (KLINO) von 1961 bis 1990 8 von 12 Monaten zu trocken und 11 von 12 Monaten zu warm waren. In Sachsen-Anhalt fielen lediglich 80 % des langjährigen Niederschlags (458 mm/a). Die Mitteltemperatur erreichte 10,8 °C und war damit 2,5 K wärmer gegenüber der KLINO. Der langjährige Erwärmungstrend setzt sich unvermindert fort. Die Niederschläge außerhalb der Vegetationszeit reichten nicht aus, um den pflanzenverfügbaren Bodenwasserspeicher aufzufüllen.
Die durch die Klimaveränderungen – vor allem die Trockenheit der vergangenen drei Jahre und die extremen Stürme – sowie die auftretenden Schädlingskalamitäten verursachten Waldschäden haben bedrohliche Ausmaße angenommen. Wie neuerdings ermittelt wurde, sind in Deutschland 245 000 ha Waldfläche betroffen, die wieder aufgeforstet werden müssen. Diese Fläche ist fast so groß, wie das Saarland!
Als eine der künftig größten Gefahren für den mitteldeutschen Waldbestand ist die latente Waldbrandgefahr anzusehen.
Nicht so sehr infolge mangelnder Winterniederschläge, sondern als Ergebnis der bis zu 3 K gegenüber der Klimaperiode 1961 bis 1990 (KLINO) zu warmen Winter und entsprechend zunehmender Verdunstung beginnt bereits im März/April die Waldbrandgefahr – vor allem in den Gebieten der Altmark sowie der im Nordosten und Osten Sachsen-Anhalts gelegenen Heiden mit leichten Böden und damit geringer natürlicher Feuchtekapazität (nFK).
Laut einer Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion des Bundestages an die Bundesregierung hat es 2018 ca. 1 700 Mal in deutschen Wäldern gebrannt, im Vorjahreszeitraum dagegen nur rund 400 Mal. 2 300 ha Waldfläche wurden dadurch in nur einem Jahr vernichtet. Die meisten Waldbrände wüteten in Brandenburg mit gut 500. Es folgten Sachsen (rund 200) und Sachsen-Anhalt (rund 180).
In Sachsen-Anhalt wie auch in Thüringen sind nur noch 15 % der Bäume schadfrei. Besonders prekär ist die Lage im Harz. Hier sind flächenhafte Zerstörungen eingetreten und ganze Waldbestände aufgelöst worden. Der Kennwert „mittlere Kronenverlichtung“ als Schadensparameter erreicht nunmehr 26 % aller Bestände; bei den älteren Fichten 43 % und bei den älteren Buchen sogar 49 %. Im Durchschnitt muss von einem Schadensbild der Kronenverlichtung bei den Laubbäumen aller Altersklassen von 37 % in Sachsen-Anhalt ausgegangen werden.
Bisherige Strategien zum Schutz und zum klimaresistenten Umbau unserer Wälder
Fachleute des Instituts für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt/Main warnen in ihrem „South Hesse Oak Project“ (SHOP) bereits vor einer „Versteppung der Wälder“ und diskutieren, mit welchen Strategien man einer klimabedingten Versteppung entgegenwirken kann.
In der Literatur werden mehrere Szenarien besprochen, die gegenwärtig untersucht und erprobt werden:
- Wälder sich selbst überlassen
- Wälder räumlich diversifizieren
- Klimaresistente Baumarten einsetzen.
Eine besondere Gruppe von Bäumen stellen die „vergessenen“ Baumarten dar. Sie waren bei uns immer heimisch und spielten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine bedeutende Rolle. Mit der Einführung der Altersklassenwälder waren sie fast vollständig verdrängt worden. Es handelt sich um den Speierling, die Elsbeere, die Edelkastanie und die Walnuss. Der Speierling (Sorbus domestica) kommt heute in Mitteldeutschland – ebenso wie die Elsbeere (Sorbus torminalis) – nur noch in einzelnen Exemplaren verstreut vor. Die Edelkastanie (Castanea sativa) ist vor allem in der Südpfalz seit der Antike, durch die Römer eingebracht, heimisch (ca. 3 000 ha Waldfläche in den Forstämtern Annweiler und Hardt).
Speierlingsfrüchte (Arboretum Annarode) (Foto Reuter 2017)
Ein Plädoyer für die historischen Waldbetriebsarten Mittel- und Niederwald
Alle Klimaprognosen legen eine drastische Veränderung im Laufe einer einzigen Baumgeneration nahe (IPCC 2007, zit. bei Finkeldey u.Hattemer, 2010). Die bisher veranlagten langen Umtriebszeiten von z. B. 160-180 Jahren bei Eichen, sind unter diesem Aspekt als obsolet zu betrachten. Die angeführte befürchtete „Versteppung“ unserer Wälder in Richtung der osteuropäischen Waldsteppen würde nicht nur dazu führen, dass bereits die kommende Generation unsere Wälder nicht mehr wiedererkennt. Weiterhin steht zu befürchten, dass eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen mit all ihren ökologischen und ökonomischen Funktionen weitgehend ausfällt.
Daher sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass das Waldbild noch vor ca. 100 Jahren auch in Mitteleuropa ein ganz anderes war: auf großen Flächen standen Mittel- und Niederwälder.
Die Abkehr von den historischen Betriebsarten ist also gar nicht so lange her. In der Mitte des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts hat z. B. die Niederwaldwirtschaft in Italien noch 40%, in Frankreich 25%, in Spanien 22%, in Griechenland 18% und in Belgien 16% der Waldflächen eigenommen (Mayer 1992). Im Norden und Nordosten Frankreichs wurden noch im Jahr 2001 knapp 3,5 Millionen Waldfläche als Mittelwald ausgewiesen.
Auch in Deutschland dominierte – unterschiedlich in den einzelnen Regionen – die Niederwaldwirtschaft. So wurden beispielsweise Anfang des 19. Jahrhunderts im Siegerland über 85 % der Gesamtwaldfläche niederwaldartig genutzt (Conrady 1999; zit. bei A. Becker 2002). Alfred Becker stellte fest, dass im Jahr 2000 noch ca. 6.000 bis 7.000 ha Niederwald im Siegerland als genossenschaftlich genutzter „Hauberg“ vorhanden waren.
Aktuell sind in Deutschland 0,4 % der heutigen Waldfläche mit Mittelwald bestockt (BMELV, 2005; Konold et al., 2009). Die flächenmäßig größten, häufig auch wissenschaftlich betreuten Mittelwälder liegen in Franken (5 100 ha, Iphofen, Bad Königshofen) und im Harzvorland. Eine Antwort auf den Klimawandel könnte durchaus das Wiederaufleben von Nieder- und Mittelwald sein.
Der Klimawandel und die damit verbundenen Standortsveränderungen sollten uns veranlassen, aus volkswirtschaftlichen, ökologischen und naturschutzfachlichen Erwägungen die bisherige Position zu überdenken. Für die Neubewertung der historischen Waldbetriebsarten gibt es eine Reihe von Gründen:
> Kurze Umtriebe machen unabhängiger vom offenbar schnell voranschreitenden Klimawandel
> Stockausschlagfähige Baumarten sind pflegeleicht, bringen rasch Ertrag und erlauben eine kahlschlaglose Dauerbestockung
> Durch kurze Umtriebszeiten kann die Artenzusammensetzung schneller verändert und an Klimaveränderungen angepasst werden. Das bedingt:
- Geringe Anfälligkeit gegen Sturmeinwirkung
- Verringerung der Auswirkungen von Feuerschäden und der Ausbreitung von Waldbränden; leichtere Beherrschung von Feuern
- problemloser Einsatz von Ernte- und Rücketechnik
> Mittelwald sorgt durch die Laßreitel für Überschirmung und bessere Ausnutzung des Wasservorrates im Boden (die Unterschicht nutzt oberflächennahe Wasservorräte; die Oberschicht erschließt sich die tieferen Bodenwasservorräte)
> Kleinräumliche Differenzierung der Bestände (Licht-/Schattenwechsel) schafft Artenvielfalt
> Holz ist als dritte Säule der dezentralen Energiewende (Wind-, Solar- und Bio-/Holzenergie) vor allem geeignet für Kraft-Wärmekopplungsanlagen im ländlichen Raum. Bedauerlich, dass die Landespolitik keine wirksamen Maßnahmen unternimmt, um die Energiewende im ländlichen Raum dezentral zu unterstützen.
Durchgewachsener Eichen-Niederwald im NSG Teufelskadrich bei Lorch am Rhein (Foto Reuter 2007)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------* Bernd *Reuter war bis 1992 als Professor an der Universität Halle tätig und arbeitet seitdem als Experte für Stadtökologie und Kulturlandschaftsentwicklung, u.a. für ein EU-Projekt.-
Reuter hat schon 1974 (!) in der DDR auf die Warnungen des sowjetischen Klimaforschers Michail I. Budyko (1920-2001) hingewiesen. Belege für die o.a. Informationen sind erhältlich: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it.
Pandemie, Demokratie und Extremismus
Im Corona-Monat Oktober wurde das Buch ausgeliefert, das mir seit langem am Herzen lag:
„Rosenbergs Elite und ihr Nachleben. Akademiker im Dritten Reich und nach 1945“.
Es behandelt einen „Virus“, der die Deutschen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg befallen hatte. Der „Virus“ des Faschismus‘ befiel viele intelligente und weniger intelligente Menschen. Er führte nicht nur zum Zweiten Weltkrieg sondern – schlimmer noch – zu einem Kulturbruch, denn dies bedeutete die staatlich durchgeführte Vernichtung menschlichen Lebens im Holocaust. Bis heute hat sich Deutschland geistig nicht völlig davon erholt. Dieses Werk ist zugleich eine Art Fortsetzung des vorigen Buches, das sich mit dem Leben und Werk von Werner Taesler beschäftigte.
Die Beschäftigung mit diesem deutschen Sozialisten und Architekten stellte einen Hoffnungsstrahl bei der Beschäftigung mit dem Rosenberg-Buch dar. Es ist ein Beweis dafür, dass sich braunes Gedankengut in den 1930er und 1940er Jahren zwangsläufig nicht überall ausbreiten musste (und heute erst recht nicht zwangsläufig ausbreiten muss). Taesler widmete seine junge Kraft beim Aufbau neuer Städte in der Sowjetunion in den 1930er Jahren, brach mit der stalinistischen Perversion des Sozialismus und fand später im schwedischen Exil zu einem undogmatischen Humanismus im Einklang mit der Natur.
Gegenwärtig gilt die Sorge dem Bestand der demokratisch verfassten und gelebten Freiheit, weil die tückische Pandemie neben dem nackten Leben diese Freiheit bedroht. Vor allem Populisten auf dem rechten politischen Spektrum sind es, die die notwendigen gesundheitlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für ihre Agitation benutzen. Beachten wir also die AHA-Regeln* im übertragenen Sinne auch zu unserem Schutz im politischen Raum!
Die Situation verschärft sich weltweit: Großbritannien meldet heute laut BBC 917.575 bestätigte Corona-Fälle (+ 22.885 gegenüber Vortag), in Deutschland sind es laut RKI 464.239 (+ 14.964). Wie in Großbritannien, wo z.B. die Universität Oxford disziplinarisch gegen Studenten vorgehen will, die positiv getestet wurden und sich um keine Vorsichtsregeln kümmern, wird man sich auch in Deutschland um rücksichtlose Studenten kümmern müssen; vgl. dazu: https://www.bbc.com/news/uk-england-oxfordshire-54716341
*Abstand, Hygiene, Alltagsmasken
Weiter Informationen zum Buch hier
"Querdenker", Irritierte und Rechtsradikale im Kampf gegen Pandemie und Staat - Leipzigs ungeliebte Gäste
Peter Hinke ist in Leipzig, Sachsen, und darüber hinaus eine Institution im deutschen Literaturbetrieb. Ebenso wie er erlebten viele Leipziger mit Entsetzen die Protestdemonstration der sogenannten "Querdenker" und Anderer im Zentrum der weltoffenen Messe- und Universitätsstadt am Samstag, dem 07.November 2020:
"...unser schon seit 2002 bestehender Literaturkurier ist kein politischer Wochenbrief und natürlich schreiben wir am liebsten über gute Bücher, doch durch unser Alltagsleben sind wir ständig mittendrin in den lokalen Ereignissen, die uns und unsere Arbeit beeinflussen. Wie eben jene Demonstration am vergangenen Wochenende, die quasi vor unseren Türen stattfand. Eigentlich sind wir einigermaßen gestählt, aber eine Veranstaltung wie diese hatten wir bislang noch nicht erlebt. Die Stadt wurde geflutet von Menschen aus ganz Deutschland, die sich aus verschiedensten Strömungen zusammensetzten und die eins einte: Der Protest gegen Coronamaßnahmen und gegen die vermeintlich bestehenden ungerechten Verhältnisse in diesem Land. Die Stadt war gefühlt so voll wie zuletzt 1989, es gab kaum freie Flächen. Es waren Menschen mit Friedenssymbolen, Anhänger christlicher Gemeinschaften, normale Bürger - darunter viele eventorientierte Reisegruppen aus anderen Bundesländern - die neben ebenfalls zahlreich erschienenen Verschwörungstheoretikern, Rechten, Hooligans und Reichsbürgern die Stadt bevölkerten. Es waren tatsächlich eher 40.000 statt 20.000 Menschen und es herrschte eine von Reden befeuerte und überdrehte Volksfeststimmung.
Wir schlossen gegen Mittag die Buchhandlung im Specks Hof, nachdem wir immer wieder von Besuchern aufgefordert wurden, im und außerhalb des Geschäftes auf die Maskenpflicht zu verzichten. Es war für uns eine unheimliche, teilweise bedrohlich wirkende Erfahrung. Gegen Abend begegnete mir am Brühl ein großer Strom von Menschen, die netten Nachbarn glichen oder gar den eigenen Eltern. Sie hatten keine Masken, sie trugen Plakate, darauf Politiker in Sträflingsuniformen, sie skandierten "Wir sind das Volk!" und "Keine Diktatur", später sah man sie bei einer Polonaise feiernd in der Grimmaischen Straße. Ich selbst sah nette junge Mädchen von nebenan mit Kerzen, Seite an Seite mit stolz beflaggten Nazis, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, aber auch von einer größeren Menge der Demonstranten beklatschte Gewalt gegen Polizei und Auseinandersetzungen mit Teilnehmern der kleinen Gegendemo. Die präsente Polizei war nur noch Begleiter, hatte praktisch kapituliert. - Nun sind einige Tage vergangen und noch immer überwiegt Wut und Scham, wenn wir daran denken, daß gerade Leipzig Ort dieser Ereignisse wurde. Im Bemühen um eine eigene Aufarbeitung des Gesehenen stellte ich einen Brief an den letztlich auch von mir gewählten Oberbürgermeister unserer Stadt auf unsere Internetseite, um herauszufinden, ob man dies alles nicht hätte verhindern müssen. Aber mir selbst ist klar, dies sind letztlich alles nur hilflose Versuche, mit dem Geschehenen umzugehen. In diesem Rahmen hier, und weil unser Kurier auch außerhalb der Stadt seine LeserInnen hat, wollte ich diese Gedanken und Eindrücke noch einmal formulieren und teilen. Wohlwissend, daß wir alle kritisch über Corona oder die entsprechenden Maßnahmen denken und vielleicht auch inhaltlich verschiedener Meinung sind. " (zit. im "Literaturkurier" der Connewitzer Verlagsbuchhandlung vom 12.11.2020).
Die Medienberichte, darunter das u.a. YouTube-Video, zeigen die irritierenden Verhaltensweisen von verschiedenen, auch rechten Gruppierungen sowie der Polizei:
https://www.youtube.com/watch?v=1LQ-5h40ycc
Verständlich: Leipzig und seine Bewohner lassen sich nicht ihren Ruf als Stadt der friedlichen Revolution von 1989 ramponieren. Sie lassen sich nicht von Leugnern des Virus und erst recht nicht von mitmarschierenden Rechtsradikalen ihre Meinung aufzwingen. Wie die meisten Deutschen diskutieren sie staatlichen Maßnahmen, versuchen aber auch in schwieriger Pandemiezeit sich und andere vor Ansteckung, Krankheit und Tod zu schützen. - Das politische und juristische Nachspiel hat schon begonnen.
"Downton Abbey" for the Germans „Downton Abbey“ – mehr als eine Seifen-Oper!
Diese englische Serie ist nun – neben „Inspektor Barneby“ – inzwischen ebenfalls in Deutschland angekommen. Die Schauspieler und Schauspielerinnen – meine Favoritin ist Maggie Smith als Countess Violet – sind große Klasse.
„Downton Abbey“ schildert das Schicksal sowohl der „Da-Oben“ als auch das der „Da-Unten“. Im wahrsten Sinne: In den oberen Stockwerken eines schön gelegenen Schlosses leben und leiden die Mitglieder einer Adelsfamilie, in den unteren Räumen arbeiten und kochen die sogenannten einfachen Leute. Bei den Letzteren gibt es eine strenge Hierarchie mit dem Majordomus, dem Butler Mr. Carson, an der Spitze bis hinunter zur Küchenmagd Daisy (kitchen maid). Dazwischen fungieren verschiedene Kammerdiener (valets), Hausdiener/Läuferr (footmen), Hausmeister (housekeepers), Kammerzofen (lady’s maids), Köchinnen (cooks), Kindermädchen (children’s nurses), Gärtner (gardeners) usw. Über deren Rechte und Pflichten, ihre mehr oder minder geheimen Rezepte in der Zeit der Königin Viktoria klärt übrigens ein Büchlein von Elizabeth Drury auf, mit dem auch Marks & Spencer, der große Kleider- und Lebensmittelkonzern, die englische Sehnsucht nach der guten alten Zeit bedient. Wenigstens in „Downton Abbey“ war die viktorianische Zeit eine gute alte Zeit, und die Serie bedient auch die entsprechende Sehnsucht der deutschen Zuschauer, besonders gut zur Weihnachtszeit…
Und weil diese vor der Tür steht, hier die Illumination unserer Nachbarn in Nord-Oxford:
An die Kinder denken - Remember the children of the Holocaust
Am Bahnhof Friedrichstraße, im Zentrum Berlins, erinnert diese Plastik an das Schicksal Tausender Kinder: 1938/39 konnten viele in Richtung England ausreisen. Die meisten aber konnten nicht gerettet werden und wurden im Holocaust ermordet (http://www.kindertransporte-1938-39.eu).
Nachdenken - Gedenken Gedenkveranstaltungen in Berlin
An diesem 09.November 2013 tat sich in Deutschland viel auf Gedenkfeiern. Das geschah ganz anders als beispielsweise in England, wo man wie in jedem Jahr den Remembrance Day feierte. Er erinnert an den (gewonnenen) Ersten Weltkrieg und seine Opfer, und dabei gibt es im ganzen Land Militärparaden und Kranzniederlegungen.
Vermutlich am stärksten wurde in diesem Jahr in Berlin gedacht. Der Beobachter erlebte eine sozialistische Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof der Märzgefallenen im Bezirk Friedrichshain. Dort, wo die Toten der demokratischen Revolution vom März 1848 begraben worden waren, wurde an die Opfer der (letztlich gescheiterten) sozialistischen deutschen Revolution vom November 1918 erinnert. Einige Redner, die die etwa 50 Zuhörer auch auf die Progromnacht vom 09. November 1938 hinwiesen, erinnerten an die friedliche Revolution von 1989 hin, die zu der Maueröffnung am 09. November 1989 und schließlich zur Vereinigung beider deutscher Staaten geführt hatte. Die alten Frauen und Männer des mit roten Schals ausgewiesenen Chores, offensichtlich ehemals engagierte DDR-Bürger, bekamen steinerne Gesichter. Es war ein denkwürdiges Erlebnis, wie sich Ost- und West-Berliner unterschiedlicher politischer Orientierung sprachlich und gesanglich zusammenfanden. Alte ideologische Gräben taten sich bei der Behandlung der Novemberrevolution von 1918 wieder auf: Hier alte Kommunisten und ehemalige Maoisten mit dem Slogan „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!“. Dort Sozialdemokraten, die wie damals, 1918, für die bürgerliche Ruhe, Ordnung und sozialen Fortschritt eintraten. Was sie schließlich gesanglich vereinte, war das alte Volkslied „Die Gedanken sind frei!“.
Ganz anders, weil staatstragend und christlich orientiert, war der zweieinhalbstündige Gedenkmarsch durch die alte Berliner Innenstadt zur Synagoge in der Oranienburger Straße. Aus Anlass der Programnacht vor 75 Jahren wurde an die Schmach erinnert, dass nur Wenige der Gewalt der Nationalsozialisten gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger an jenem 09. November 1938 und in den folgenden Jahren widerstanden hätten. Zu den Wenigen gehörten der evangelische Pfarrer Helmut Gollwitzer ebenso wie der katholische Prälat Bernhard Lichtenberg und der preußische Polizist Wilhelm Krützfeld. Mit dem Regierenden Bürgermeister, einem wahrhaftigen Kardinal und dem evangelischen Bischof an der Spitze wanderten etwa 400 Menschen, hörten am Dom die Kurzbiographien jüdischer Kinder und Erwachsener, die einst ganz normale Berliner gewesen, dann ausgegrenzt und ermordet worden waren. Eine fast so beklemmende Situation wie die Nennung der Namen in der Gedenkstätte von Yad Vashem bei Jerusalem.
Weniger spektakulär verlief eine kleine Wanderung am Abend des 29. Novembers im Berliner Stadtteil Friedenau. Trotz Kälte und Regen wanderten rund 30 Teilnehmer zu mehreren Häusern, vor denen „Stolpersteine“ (http://www.stolpersteine-berlin.de/) verlegt worden waren. Kleine, Namen tragende Steine aus Messing, die in das Pflaster eingelassen worden waren, um an das Leben und Sterben von jüdischen Mitbewohnern zu erinnern. 13 Stolpersteine erinnerten an meist ältere Menschen, die wegen ihrer Herkunft in den 1940er Jahren in Theresienstadt oder Auschwitz ermordet wurden. Es wurde eines jeden dieser 13 Menschen gedacht. Eine weiße Rose zierte den Stolperstein...
01.Dezember 2013